Antwort auf vertraulichem Weg

„Nicht jedes Thema sollte auf einer öffentlichen Plattform wie abgeordnetenwatch.de diskutiert werden“, zum Beispiel der Sinn oder Unsinn mancher Subventionen. Das findet die Bundestagsabgeordnete Ulrike Gottschalck und antwortet Bürgern seit der Wahl nur noch auf vertraulichem Weg, soll heißen: nicht öffentlich. Über die Note "ungenügend" für ihre Antwortquote hat sie nun via Lokalzeitung ihren Unmut geäußert.

von Martin Reyher, 06.08.2010

Quizfrage: Warum konfrontiert jemand einen Bundestagsabgeordneten mit einer öffentlichen Anfrage, sagen wir, über den Sinn oder Unsinn von so manch einer Subvention?

a.) Weil er die Mailadresse des Abgeordneten erfahren möchte, an die er seine Kontaktdaten zur nicht öffentlichen Beantwortung seiner Frage schicken kann.
b.) Weil er eine ehrliche, öffentliche Antwort erwartet.

Hans-Jochen T. würde wahrscheinlich Option b. wählen. Doch da ist der Fragesteller bei der Bundestagsabgeordneten Ulrike Gottschalck an der falschen Adresse. Auf seine Frage nach dem Einsparpotential bei „unsinnigen Subventionen wie z. B die unterschiedliche Besteuerung von Speisen und Getränken beim Verzehr im Lokal und beim Verkauf über die Straße, Tiernahrung kontra Arzneimittel für Menschen“, erhielt er folgende Auskunft:

Da nicht jedes Thema auf einer öffentlichen Plattform wie abgeordnetenwatch.de diskutiert werden sollte, bitte ich Sie, mir Ihr Anliegen ganz einfach und direkt per E-Mail an ulrike.gottschalck@bundestag.de zu senden oder auf dem Postwege an Ulrike Gottschalck MdB, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Ich freue mich auf den direkten Dialog mit Ihnen.

Man kann also sagen, dass die Frage von Herrn T. öffentlich unbeantwortet geblieben ist. Entsprechend "ungenügend" fiel die Antwortbilanz, die wir kürzlich für alle 622 Bundestagsabgeordneten berrechnet hatten, im Fall von Ulrike Gottschalck aus. An dem Gesamteindruck änderte auch eine weitere Antwort von Gottschalck nichts, in der sie begründete, warum sie einen öffentlichen Austausch mit Bürgern im Internet nun auf einmal ablehnt - im Wahlkampf hatten die Wähler von ihr noch eine Antwort erhalten.

Damit für alle Bürger auf den ersten Blick zu erkennen ist, von welchem Abgeordneten sie eine öffentliche Antwort erwarten können, weisen wir auf abgeordnetenwatch.de sog. Standard-Antworten aus. Das sind Antworten, in denen Abgeordnete mitteilen, dass sie - wie Ulrike Gottschalck - Bürgern über abgeordnetenwatch.de nicht antworten werden. Solche Mails haben für den Fragesteller denselben Erkenntniswert wie überhaupt keine Antwort - und werden in unserer Antwortstatistik deshalb auch entsprechend gewertet.

Über die Antwortbilanz der Abgeordneten Gottschalck und ihrer Kolleginnen und Kollegen aus Nordhessen berichtet am Montag (pdf) auch die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA). Heute veröffentlichte die HNA unter der Überschrift „Abgeordnete schlagen zurück“ (pdf) einen zweiten Artikel, in dem sich Ulrike Gottschalck zu ihrem Antwortverhalten äußert:

Die Kasseler SPD-Abgeordnete Ulrike Gottschalck erklärte, sie habe die ihr über die Internetplattform gestellte Frage sehr wohl beantwortet und werde „auch zukünftig alle Bürgeranfragen individuell und vertraulich behandeln“. „abgeordnetenwatch.de“ hatte behauptet, die 54-Jährige beantworte ihr gestellte Fragen nicht und stufte sie unter den 622 Bundestagsmitgliedern auf Platz 546 mit der Schulnote „Ungenügend“ ein.

Die HNA berichtete auch über den Abgeordneten Björn Sänger, der bis vergangene Woche erst eine von drei Bürgerfragen auf abgeordnetenwatch.de beantwortet hatte. Sänger vermutete gegenüber der Zeitung „ein technisches Problem bei der Übermittlung der Fragen“. „Wir werden den Übermittlungsweg überprüfen und versuchen sicherzustellen, dass die Fragen der Bürgerinnen und Bürger, die über diese Plattform an mich gerichtet werden, auch ankommen.“

Der Übermittlungsweg ist nun augenscheinlich überprüft: Zu Wochenbeginn erhielt Sänger zwei neue Fragen, die er prompt beantworte. Bürger können also auch künftig mit einer öffentlichen Antwort von ihm rechnen.

Nachtrag vom 10.8.2010: SPIEGEL ONLINE berichtet über einen britischen Abgeordneten, der das Internetportal "38 degrees" zur Löschung seiner Mailadresse auffordert, um nicht weiterhin die Mails zahlreicher Bürgern zu erhalten. In diesem Zusammenhang kommt auch abgeordnetenwatch.de zur Sprache. In dem Artikel heißt es:

Doch einige der Berliner Parlamentarier haben sich noch nicht an die neue Kommunikationsform gewöhnt. So sorgte kürzlich eine Abgeordnete für Aufsehen. Sie weigerte sich, eine Bürgeranfrage zum Einsparpotential bei Subventionen öffentlich zu beantworten, "da nicht jedes Thema auf einer öffentlichen Plattform wie Abgeordnetenwatch.de diskutiert werden sollte", wie sie schrieb. Prompt wurde ihre Antwortbilanz mit "ungenügend" eingestuft. Solche Bewertungen sind für viele Parlamentarier Antrieb, sich schnell um Bürgeranfragen zu kümmern...

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