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An den Taten sollt ihr sie messen! Eine Replik auf Heribert Prantls Kommentar zum Fall Steinbrück

Ja, Heribert Prantl hat recht. Peer Steinbrück hat erfolgreich daran mitgewirkt, Deutschland durch die Krise zu manövrieren. Er war ein angesehener Finanzminister, dem viele einen Verdienst an unserem Land attestieren. Darf ein Politiker deswegen mildernde Umstände erwarten?

von Martin Reyher, 19.08.2010

 

 

 

 

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In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung wirft uns Heribert Prantl heute "übertrieben kleinliche Beckmesserei" im Umgang mit den Nebentätigkeiten von Peer Steinbrück vor. Eine Replik.

Ja, Heribert Prantl hat recht. Peer Steinbrück hat erfolgreich daran mitgewirkt, Deutschland durch die Krise zu manövrieren. Er war ein angesehener Finanzminister, dem viele einen Verdienst an unserem Land attestieren. Darf ein Politiker deswegen mildernde Umstände erwarten?

Worum geht es? Ein verdienter Minister zieht im Herbst seiner Karriere noch einmal als einfacher Abgeordneter ins Parlament ein, seine Partei hat ihn zum Dank weit nach oben auf die Landesliste gesetzt. Weil es nicht Usus ist, dass ein Ex-Minister seinem Nachfolger im Plenum die Stirn bietet, widmet er sich jetzt einem ganz anderen Fachgebiet, bei Peer Steinbrück ist dies das Thema EU. Er könnte nun Initiativen anstoßen, Gesetzesentwürfe ausarbeiten, Anfragen an die Bundesregierung stellen, Reden im Plenum halten, ja, er könnte sich richtig ins Zeug legen für die Europäische Sache. Das wäre äußerst verdienstvoll. Doch nach allem was die Bundestagsdatenbank ausspuckt, ist Peer Steinbrück bislang nicht als emsiger Europapolitiker in Erscheinung getreten. Das könnte u.a. daran liegen, dass er eher selten anwesend war. Bei einem Großteil der Abstimmungen hat er gefehlt, u.a. bei der über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und über den Afghanistaneinsatz. Manchmal fehlte er auch bei einer wichtigen Debatte ohne Abstimmung und ging am selben Tag seinen Nebentätigkeiten nach.

Man mag es – wie Heribert Prantl - ziemlich unfair finden, einen Abgeordneten an seinen Taten im Bundestag zu messen. Doch woran sollte man ihn dann messen? An dem, was er in seiner Freizeit vor Managern oder Investmentbankern in launigen Reden erzählt, wie Prantl empfiehlt? Das wäre etwas dürftig bei jemandem, den wir Bürger jeden Monat mit 7.668 Euro ausstatten und wo es ganz sicher keine Anmaßung ist, dafür eine entsprechende Gegenleistung zu erwarten. Doch worin besteht Steinbrücks Gegenleistung? In einem Politikerbuch, das endlich mal nicht aus "zusammengepappten Redemanuskripten besteht", wie Prantl freudig vermerkt?

Heribert Prantl weist darauf hin, dass Steinbrücks zahlreiche Einladungen zu Gastvorträgen ein Indiz dafür sind, dass er etwas zu sagen hat. Es ist wahrlich kein Fortschritt für den Parlamentarismus, wenn ein gewählter Volksvertreter das, was er zu sagen hat, ausschließlich bei Finanzsymposien oder auf Trend- und Eventmessen vorträgt.

Stellen wir uns für einen kurzen Moment vor, Peer Steinbrück stände nicht in Diensten von uns Bürgerinnen und Bürgern, sondern in denen einer Firma. An manchen Tagen käme er ins Büro, an anderen nicht, je nachdem, ob sich nicht gerade lukrativere Tätigkeiten außerhalb der Firma bieten. Auf seinem Schreibtisch würde sich die Post der vergangenen Monate stapeln, und wenn in der Betriebsversammlung die anderen das Wort ergreifen, würde er ganz hinten auf seinem Sessel mit den blauen Polstern andächtig schweigen. Man muss kein schlechter Mensch sein, um die 7.668 Euro Gehaltszahlungen, die dem Mitarbeiter jeden Monat zustehen, für etwas überzogen zu halten.

Prantl wendet nun ein, Steinbrück beziehe gar keine Abgeordneten-Diät, "weil sie mit den Versorgungsbezügen aus seiner Zeit als Ministerpräsident verrechnet werden". Dies ist unzutreffend. Aus § 29 Abs. 2 S. 1 Abgeordnetengesetz ergibt sich, dass Steinbrück neben der Abgeordnetenentschädigung noch 20 Prozent seiner Versorgungsbezüge bezieht - zusätzlich. Die Diäten werden also nicht mit den Versorgungsbezügen verrechnet, sondern die Versorgungsbezüge werden während seiner Zeit als Abgeordneter um 80 Prozent gekürzt. Nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler hat Steinbrück aus seiner Zeit als Bundesminister, Ministerpräsident (NRW) sowie als Landesminister (Schleswig-Holstein) Anspruch auf Altersbezüge in Höhe von mindestens 9.330 Euro. Zusätzlich zu seiner Abgeordneten-Diät in Höhe von 7.668 Euro hätte Steinbrück einen Anspruch auf mindestens 1.866 Euro pro Monat (20 Prozent von 9.330 Euro). Allerdings gestaltet sich die Berechnung wegen seiner verschiedenen Tätigkeiten äußerst kompliziert, weshalb nicht ganz klar ist, ab wann Steinbrück welche Anteile der Altersbezüge zustehen. Laut Steuerzahlerbund erhalten ehemalige Mitglieder des NRW-Landeskabinetts ab dem 60. Lebensjahr eine Rente in Höhe von monatlich 4.047 Euro. Bei Steinbrück wäre dies ab 2007 der Fall. sueddeutsche.de, das Online-Portal von Prantls Mutterhaus, meldet dagegen Pensionsansprüche ab dem Jahr 2012.

Selbst wenn man der Meinung ist, dass jemand als früherer Minister sein Soll bereits erfüllt hat und man ihn deshalb nicht mehr mit den selben Maßstäben messen sollte wie jeden anderen Abgeordneten, ist es ja nicht so, dass nur Kosten in Höhe einer Abgeordneten-Diät anfallen. Neben den monatlichen Bezügen von 7.668 Euro kommen wir Steuerzahler für eine steuerfreie Kostenpauschale von 3.969 Euro (bei jährlicher Anpassung an die Lebenshaltungskosten), eine Mitarbeiterpauschale von monatlich 14.712 Euro (Arbeitnehmerbrutto) sowie eine Büropauschale von "höchstens 12.000 Euro" pro Jahr auf, von den Altersansprüchen gar nicht zu reden.

Mal abgesehen davon, dass Steinbrück sich für die Rente mit 67 stark macht und selbst von einer Pension ab dem 60. Lebensjahr profitiert, bleibt die Frage: Warum macht ein verdienter Politiker nicht Platz für einen jungen, engagierten Nachfolger, der sich mit vollem Elan in die Arbeit stürzt? Ist es "übertrieben kleinlich", diese Frage auszusprechen? Es geht nicht darum, dass jemand keine Fragen beantwortet (die im übrigen nicht von abgeordnetenwatch.de stammen, wie Prantl schreibt, sondern von denen, die für Steinbrücks Diät/Altersbezüge aufkommen). Es geht darum, dass wir Bürgerinnen und Bürger uns nur die Engagiertesten, die Bürgernahsten und die Transparentesten in den Parlamenten leisten sollten. Auf abgeordnetenwatch.de kann sich jede und jeder ein Bild davon machen, welche Abgeordneten dazugehören und welche nicht.

Dem Autor bei Twitter folgen: @mareyher

Nachtrag 2.10.2012: Die Süddeutsche Zeitung springt Peer Steinbrück in einem Kommentar wieder einmal wegen seiner gut dotierten Nebeneinkünfte bei und schreibt:

Insgesamt umfasst die Liste seiner Kunden 41 Namen, in den meisten Fällen hat er jeweils mehr als 7000 Euro pro Auftritt genommen. Ohne jede Ironie: schön für ihn. (...) Er ist schon deshalb kaum zu korrumpieren, weil er seit Jahren Abgeordneter der Opposition ist. Steinbrück hat eine Leistung erbracht und einen Wert geschaffen, der zum Beispiel darin bestand, dass eine Volksbank zu einem Abend einladen konnte, um etwas für die Kundenbindung zu tun. Dafür darf er gerne Geld nehmen. Es gibt nicht die geringsten Indizien für einen Interessenkonflikt. Die gäbe es bei einem Kanzlerkandidaten - weshalb Steinbrück nach seiner Ausrufung sogleich erklärt hat, seine Vorträge (sowie den Sitz im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp) aufzugeben.

Mehr Transparenz bei Nebeneinkünften hält Wirtschaftsredakteur Detlef Esslinger für nicht erforderlich:

Horst Seehofer hat gesagt, wer Transparenz von den Banken einfordere, dürfe sich nicht wundern, wenn sie auch von ihm persönlich eingefordert werde. Der Vorhalt ist ungefähr so dringend, als forderte man Seehofer auf, doch endlich in die CSU einzutreten. Steinbrück muss der Forderung nicht nachkommen, weil er sie längst und ohne besondere Aufforderung erfüllt hat. Wen's im Einzelnen interessiert: Er hat all seine Kunden und Einnahmen so auf der Website des Bundestags aufgelistet, wie es das Gesetz verlangt.

 

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