Das Doktoren-Parlament: Titel, Dissertationen und Plagiate im Spiegel von Bürgerfragen

Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht der erste Bundestagsabgeordnete, dem der Doktortitel abhanden gekommen ist. Ein Kollege stolperte 2009 über einen gekauften Titel, gegen einen weiteren leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen der unbefugten Führung eines akademischen Grades ein. Zahlreiche Bürger haben die Abgeordneten mit Fragen konfrontiert, doch eine Antwort erhielten sie meist nicht.

von Martin Reyher, 23.02.2011

Wie viele Doktoren sitzen eigentlich im Bundestag? Ganz so einfach lässt sich die Frage gar nicht beantworten. Karl-Theodor zu Guttenberg verzichtet auf der Homepage des Parlaments inzwischen zwar auf seinen Doktortitel, doch einmal abgesehen von der Frage, ob man seinen Titel überhaupt ablegen kann, gibt es noch einen weiteren Fall, in dem die Sachlage nicht ganz eindeutig ist. Beantworten wir die Frage also zunächst einmal mit der Zahl 119 (ohne Guttenberg). Von den Unions-Abgeordneten tragen laut Eigenangabe auf der Homepage des Deutschen Bundestags 53 einen Doktortitel, bei der FDP sind es 23, bei der SPD 21, bei Linke und Grünen 13 bzw. 9. Jeder fünfte der 622 Bundestagsabgeordneten hat also die Mühen einer Dissertation nicht gescheut.
Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht der erste Parlamentarier, dem in dieser Wahlperiode der Doktortitel abhanden gekommen ist. Als "Dr. Dieter Jasper" war ein Kandidat aus Steinfurt in den Bundestagswahlkampf gezogen, als "Dieter Jasper" sitzt er nun im Parlament. Wie Guttenberg wird auch Jasper Täuschung und Betrug vorgeworfen, er soll 2004 seinen Doktortitel bei der Universität Teufen in der Schweiz gekauft haben - einer Hochschule, die weder über eine eigene Homepage verfügt noch das Promotionsrecht besitzt. Jasper, der inzwischen eine Strafzahlung über 5.000 Euro geleistet hat, bestreitet davon gewusst zu haben. Googelt man heute "universität teufen", ist der erste Treffer ein Wikipedia-Artikel zum Thema "Titelmühle". Jaspers damalige Verteidigungslinie folgte einem nicht unbekannten Muster:
  • eigenen Fehler eingestehen ("Ich habe damals den Fehler begangen, die Angaben der Schweizer nicht ausreichend zu überprüfen")
  • Opferrolle einnehmen ("Ich bin Betrügern aufgesessen")
  • Selbstkritik üben ("Ich war dämlich genug, das zu glauben!")
  • auf die familiäre Situation verweisen (konnte die Doktorarbeit "berufsbegleitend" schreiben, ohne die eigene Firma in Hopsten vernachlässigen zu müssen)
  • darauf hinweisen, dass man persönlich am meisten unter den Folgen zu leiden habe ("Den Preis für diesen Fehler, den ich begangen habe, muss ich zahlen. Ich muss die Sache jetzt durchstehen.")
  • den Fall relativieren und Rücktritt zurückweisen ("Was ist denn schon passiert? Ich habe einen Titel getragen, den ich nicht hätte tragen dürfen. Aber das habe ich inzwischen korrigiert")

(Zitiert nach diesem Artikel in der Münsterschen Zeitung.) Nachdem Jasper das Bundestagsdirektmandat als falscher Doktor und mit nur 2.765 Stimmen Vorsprung vor seinem Gegenkandidaten Dr. Reinhold Hemker gewonnen hatte, gab es auf abgeordnetenwatch.de mehrere Nachfragen an den frisch gewählten Abgeordneten. Ein Bürger schrieb:

Als Sie in unserem Wahlkreis Steinfurt 3 im letzten Jahr antraten taten Sie dieses als Dr. Dieter Jasper. Sie stellten sich als Wirtschaftsfachmann dar und verwendeten auf den Veranstaltungen im Wahlkreis ihren Doktortitel. Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger im Kreis Steinfurt haben Ihnen hier vertraut und aus diesem Vertrauen heraus Sie Herr Jasper als Dr. Dieter Jasper gewählt. Nun stellt sich heraus das Ihr Titel zu unrecht von Ihnen geführt wurde. Aufgrund Ihres Titel haben Sie viel Vertrauensvorschuss genossen und sicherlich viele Wähler auf sich vereinigen können. Meine hieraus resultierende Frage an Sie: Können Sie so in den nächsten 4 Jahren mit ruhigem Gewissen im deutschen Bundestag sitzen und die Bevölkerung des Münsterlandes vertreten?

Ein anderer fragte:

Abgesehen davon: Glauben Sie in Zeiten, in denen in Deutschland darauf hingewiesen wird, dass bei Vornamen wie "Kevin” und türkischen Nachnamen unabhängig von der Person Schwierigkeiten in der Schule bzw. bei der Jobsuche zu erwarten sind, dass ein Doktortitel bei einer Wahl so wenig eine Rolle spielt, als sei er nie genannt worden?

und

Wenn Sie das glauben und spätestens im Oktober von ihrem falschen Doktortitel wussten, weswegen ließen Sie sich noch im Dezember im Bundestag "Dr.” nennen, distanzierten sich also vom Führen dieses Titels erst dann vollständig, als die Einspruchsfrist gegen ihre Wahl lange verstrichen war?

Ein dritter Fragesteller formulierte es drastisch:

Auch ich wohne im Wahlkreis Steinfurt III und frage mich ernsthaft, ob mich ein Betrüger im Bundestag vertritt.

Dieter Jasper antwortete - nichts.

Neben Guttenberg und Jasper gibt es noch den Fall des Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär im Verkehrsministerium, Andreas Scheuer, der allerdings ganz anders gelagert ist. Dass Scheuer seinen akademischen Grad an der Karls-Universität Prag rechtmäßig erworben hat, wird allgemein nicht in Abrede gestellt. Ihm wurde für seine Arbeit zum Thema "Die politische Kommunikation der CSU im System Bayerns" der Titel des "doktor filozofie", kurz PhDr., verliehen. Scheuer tritt allerdings als Dr. auf, u.a. auf der Ministeriumshomepage (s. Screenshot rechts) oder auf der Bundestagswebsite. Auf seiner persönlichen Homepage verzichtet der Abgeordnete dagegen sowohl auf den Dr. als auch auf den PhDr. Lediglich im Lebenslauf gibt es einen Hinweis: "2004: Promotion am Lehrstuhl für Politikwissenschaften der Karlsuniversität Prag". Gegen Scheuer wurde zwar wegen der unbefugten Führung eines akademischen Grades ermittelt, das Verfahren allerdings ergebnislos eingestellt. Bei Wikipedia wird darauf hingewiesen, dass der PhDr. als sogenannter "kleiner Doktorgrad" einzustufen ist, der "nicht der dritten Stufe der Bologna-Klassifikation (Bachelor - Master - Doktor) zugeordnet" werden kann. Nach Ansicht der Kultusministerkonferenz (KMK) stehe der Erwerb eines solchen "kleinen Doktorgrades" nicht in Zusammenhang mit eigenständiger wissenschaftlicher Forschung und sei deswegen auch nicht mit einem Doktorgrad in Deutschland äquivalent. Dieser Definition entsprechend würde Scheuer nicht zu den 119 Bundestagsabgeordneten mit Doktortitel gehören. Auch Scheuer wurde auf abgeordnetenwatch.de mit Fragen von Bürgern konfrontiert:
Glauben Sie nicht, dass es eher zu Ihrem Vorteil wäre, den Titel in der Originalform zu führen und somit auch glaubwürdiger zu wirken? Warum geben Sie den Titel nicht also in der Originalform an?
Ich persönlich finde Ihr Verhalten sehr enttäuschend, da es einen Schlag ins Gesicht für alle Doktoranten in Deutschland bedeutet, die sich mind. drei Jahre an einer alma mater quälen inkl. paralleler Lehrverpflichtung und Forschungsleistungen.

Anders als Jasper bei seinen Anfragen ging Scheuer zumindest auf eine der beiden Mails ein:

Die Promotion habe ich im Dezember 2004 abgelegt. Die Berechtigung zum Führen des Titels wurde von mehreren Seiten intensiv rechtlich geprüft und bestätigt. Die Karluniversität in Prag genießt hohes Ansehen. Im Nachgang sehe ich die Promotion in Prag als eine wichtige Erfahrung in meinem Leben an. Die von Ihnen vorgenommene Abqualifizierung erstaunt mich und ist bemerkenswert.

Von Karl-Theodor zu Guttenberg, der nach seiner Ernennung zum Wirtschaftsminister das Antworten auf Bürgerfragen bei abgeordnetenwatch.de eingstellt hat, dürfen die zahlreichen Fragesteller dagegen keine Antwort erwarten. Aktuell hätten 86 interessierte Bürger gerne eine Antwort auf diese Frage:

Glauben Sie, daß persönliche Integrität eine unabdingbare Eigenschaft eines Spitzenpolitikers ist? Falls nein: Können Sie das näher begründen? Falls ja: Ziehen Sie aus dieser Überzeugung Konsequenzen für sich?

 

Nachtrag vom 24.2.2011: Schon 2008 gab es Interesse an der Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg. Am 11.5.2008 wurde dieser von einem Bürger auf abgeordnetenwatch.de gefragt, wo seine Doktorarbeit einzusehen sei. Der damals noch antwortende Guttenberg schrieb gut zwei Wochen später:

Meine Dissertation können Sie im Zuge der Drucklegung bei Duncker & Humblot als Monographie sicher auf den üblichen Wegen einsehen.

Dem Fragesteller gab Guttenberg in seiner Antwort noch eine weitere Empfehlung:

Nachdem Sie offensichtlich das Internet gerne und intensiv nutzen, lohnt ein Blick auf die homepages diverser Europa-Institute, großer Stiftungen, aber auch deutschsprachiger Tageszeitungen, die umfangreiche Dossiers mit teilweise sehr abgewogenen und erstklassig geschriebenen Beurteilungen der von Ihnen aufgeworfenen Fragen beinhalten.

 

Nachtrag vom 18.6.2011: Mit Silvana Koch-Mehrin ist nun auch einer Europaabgeordneten der Dr.-Titel abhanden gekommen. Die Universität Heidelberg entzog ihr die Doktorwürde - Vorwurf: Plagiat. Im September 2010 hatte Koch-Mehrin übrigens für eine verbesserte Durchsetzung von Urheberrechten gestimmt.

 

Nachtrag vom 13.7.2011: Auch dem Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis ist aufgrund von Plagiaten inzwischen der Dr.-Titel aberkannt worden.

 

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