Nach der Hamburg-Wahl: Für diese Projekte gibt es in der Bürgerschaft (k)eine absolute Mehrheit

von Martin Reyher, 04.03.2011

Die frisch gewählten Bürgerschaftsabgeordneten werden viel zu tun haben, wenn sie ihre Aussagen aus dem Wahlkampf in politische Beschlüsse umsetzen wollen. Nimmt man die Parlamentarier beim Wort, werden sie

  • den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und die Fahrkarten verbilligen,
  • die erst kürzlich beschlossene Erhöhung von Kita-Gebühren wieder rückgängig machen,
  • noch mehr Ganztagsschulen und ein größeres Kita-Angebot schaffen,
  • einen Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren beschließen,
  • mehr Sozialwohnungen bauen,
  • die Studiengebühren abschaffen.

Für alle genannten Punkte gibt es unter den 121 Bürgerschaftsabgeordneten eine absolute Mehrheit - und diese ist dokumentiert im Kandidaten-Check, den abgeordnetenwatch.de vor der Wahl unter allen Kandidaten durchgeführt hat. Von den nun gewählten Parlamentariern haben 91 ihre Positionen hinterlegt, also mehr als drei Viertel. Durch die hohe Beteiligungsquote lässt sich eine recht genaue Aussage darüber treffen, wie in der neuen Bürgerschaft die Mehrheiten verteilt sind. Auffallend ist, dass sich die jetzigen Abgeordneten vor der Wahl mehrheitlich vor allem für teure Projekte stark gemacht haben - Aussagen, an denen sie sich nach der Wahl nun messen lassen müssen. Laut Aussagen der Abgeordneten beim Kandidaten-Check gibt in der neuen Bürgerschaft bei folgenden Themen eine absolute Mehrheit (61 Abgeordnete):

Durch die Antworten beim Kandidaten-Check wird auch klar, was die neue Bürgerschaft mehrheitlich nicht will:

  • Änderungen bei der Verbindlichkeit von Volksentscheiden,
  • Kürzungen im Kulturetat,
  • Einführung einer City-Maut,
  • Sparmaßnahmen auch im sozialen Bereich.

In vielen Punkten gibt es unter den Bürgerschaftsabgeordneten eine deutliche, wenngleich keine absolute Mehrheit. Da allerdings zahlreiche Abgeordnete unentschlossen sind, ist bei folgenden Projekten zumindest eine theoretische Mehrheit denkbar:

  • Einstellung von mehr Polizisten,
  • keine Privatisierung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge (z.B. Wasserwerke) ohne einen vorherigen Volksentscheid,
  • Umwandlung von Büroflächen in attraktiver Lage zu Wohnflächen.

Interessanterweise verlaufen die Mehrheiten oftmals nicht entlang von Parteigrenzen. Bei der Frage etwa, ob Büroflächen in attraktiver Lage zu Wohnflächen umgewandelt werden sollen, gibt es Widerspruch aus allen Fraktionen (mit Ausnahme der Linken).

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Frage, ob Umweltauflagen Priorität haben sollten vor der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Hier gibt es sowohl Zustimmung als auch Ablehnung bei allen fünf im Parlament vertretenen Parteien. 43 Abgeordnete räumen der wirtschaftlichen Entwicklung Hamburgs Priorität ein, 37 halten die Einhaltung von Umweltauflagen für wichtiger.

In jedem Fall lohnt sich ein genauerer Blick auf die Ergebnisse des Kandidaten-Checks. Dadurch, dass die Abgeordneten ihre Positionen inhaltlich begründen konnten, relativieren sich auch vermeintlich eindeutige Aussagen. Einige Politiker wie der SPD-Abgeordnete Wolfgang Rose sind zwar unverändert der Meinung, dass Kinder länger als vier Jahre eine gemeinsame Grundschule besuchen sollten und stellen sich damit auf den ersten Blick gegen den von der Bürgerschaft vereinbarten Schulfrieden. Allerdings stellt Rose in seiner Begründung auch klar, dass er das Ergebnis des Volksentscheids über die Schulreform respektiere.

Die Analyse der Kandidaten-Check-Ergebnisse räumt auch in anderer Hinsicht mit der Wahlkampf-Legende auf, die SPD wolle den Schulfrieden aufkündigen. CDU-Spitzenkandidat Christoph Ahlhaus hatte wiederholt öffentlich darauf verwiesen, dass laut Kandidaten-Check 47 SPD-Kandidaten dem Volksentscheid zum Trotz für ein längeres gemeinsames Lernen eintreten. Nun zeigt sich, dass es die aller meisten von ihnen gar nicht ins Parlament geschafft haben: Von den 47 Kritikern des Schulfriedens sind gerade einmal 13 in die Bürgerschaft eingezogen.

Anmerkungen:

  • Die Positionen folgender Abgeordneten sind nicht in obige Auswertung eingeflossen, da sie sich am Kandidaten-Check nicht beteiligt haben: Dr. Dorothee Stapelfeldt, Jörg Hamann, Ulrike Hanneken-Deckert, Dirk Kienscherf, Hans-Detlef Roock, Carola Veit, Dr. Martin Schäfer, Michael Neumann, Isabella Vértes-Schütter, Hansjörg Schmidt, Dietrich Wersich, Heidrun Schmitt, Dora Heyenn, Nikolaus Haufler, Ralf Niedmers, Carola Thimm, Ali Simsek, Daniel Gritz, Christa Goetsch, Olaf Ohlsen, Birte Gutzki-Heitmann, Hildegard Jürgens, Olaf Scholz, Doris Müller, Ties Rabe, Heino Vahldieck, Jan Ehlers, Heike Sudmann, Erck Rickmers und Juliane Timmermann.
  • Insgesamt fehlen die Aussagen von 19 SPD-Abgeordneten (bei 62 Sitzen), 7 CDU-Abgeordneten (28) sowie je zwei Abgeordneten von GAL (14) und Linke (8). Von der FDP hatten sich alle neun gewählten Bürgerschaftsabgeordneten am Kandidaten-Check beteiligt.
  • Da ein Parlamentarier nicht zu allen Kandidaten-Check-Thesen eine Position hinterlegt hat, schwankt die Zahl der nicht beteiligten Abgeordneten zwischen 30 und 31.
  • Die Positionen (und Begründungen) Ihrer Wahlkreiskandidaten finden Sie hier im Kandidaten-Check oder auf den Profilseiten der jeweiligen Kandidaten in unserem Wahlspezial unter dem Punkt "Kandidaten-Check > Antworten des Kandidaten".
  • Die Hamburgische Bürgerschaft tritt erstmals am kommenden Dienstag, 7. März, zusammen. Ab diesem Tag können Sie alle neu gewählten Abgeordneten auf abgeordnetenwatch.de befragen.

 

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