Warum Offline-Politiker ihren Berufsstand in Verruf bringen

Poltiker sind so unbeliebt wie kaum eine andere Berufsgruppe, nur Banker und TV-Moderatoren werden noch weniger geschätzt. Doch anstatt die Auseinandersetzung mit den Bürgern zu suchen, sich Fragen und Kritik zu stellen, schotten sich manche Volksvertreter ab. Der Frust der Ungehörten über "die Politiker" bricht sich on- und offline Bahn und bringt so einen ganzen Berufsstand in Verruf.

von Martin Reyher, 13.04.2011

Was ist der Unterschied zwischen - sagen wir - einem Lehrer und einem Politiker? Beide haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion, beide sollten deshalb auf ihre Weise Vorbild sein, beide sollten andere begeistern, mitreißen. Doch einer von beiden ist ziemlich unbeliebt.

Es ist der Politiker.

Nur noch sechs Prozent der Deutschen haben laut einer aktuellen Allensbach-Umfrage ein positives Bild von unseren Politikern - bloß die Ackermanns und Kerners sind noch weniger geachtet (Banker und Fernsehmoderatoren kommen auf jeweils vier Prozent). Die Lehrer werden dagegen von 42 Prozent geschätzt, allein Ärzte und Krankenschwestern sind noch angesehener.

Man muss sich nur das Kommunikationsverhalten mancher Politiker anschauen um eine Ahnung davon zu bekommen, warum ihr Berufsstand inzwischen ganz unten angekommen ist im Ansehen der Bevölkerung, und das hat erst einmal nichts mit Atomausstieg oder der Möwenpicksteuer zu tun. Politische Wendemannöver und Klientelpolitik hat es immer gegeben. Allerdings hatten 1972 noch 27 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ein positives Bild von unseren Politikern, sechs Jahre später waren es 24 Prozent, seitdem geht es bergab mit dem Ansehen:

Wenn unsere Politiker im Volk immer unbeliebter werden - kann es vielleicht sein, dass die Volksvertreter nicht mehr durchdringen mit ihrer Botschaft? Dass sich im Jahr 2011 nicht mehr kommunizieren lässt nach der jahrhundertelang praktizierten Methode: Der Politiker sendet, der Bürger empfängt? Dass Bürger sich emanzipiert haben von diesem top-down Prinzip und Dank neuer Technologien inzwischen lieber selbst senden als nur zu empfangen? Und dass einige Politiker das noch nicht mitbekommen haben?

Vergangenen Samstag saß der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, der als Talkshowgast besonders gerne sendet, auf einem Podium beim Medienkongress "tazlab" der tageszeitung. Das Thema lautete "Wie verändert sich die Politik durch das Internet?" Bei Lauterbach bekam man den Eindruck, als halte er das Internet für eine nützliche Sache um Informationen zusammenzuklauben, aber ansonsten für eine ziemliche Bedrohung. Natürlich sei er viel im Netz unterwegs um sich zu informieren, aber er müsse dort ja nicht gleich mit den Bürgerinnen und Bürgern korrespondieren. Denn erstens lade das Internet zu Missbrauch ein (es kann ja jeder jederzeit unter jedem Namen irgend etwas posten), zweitens fehle ihm dazu die Zeit, und drittens seien viele gesellschaftliche Gruppen wie Immigranten oder Hartz IV-Bezieher dort gar nicht aktiv. Er halte es deswegen mit dem direkten Austausch, der Bürgersprechstunde, dem Gespräch vor Ort.

Alles schön und gut. Doch darf man sich dann - wie Lauterbach am Samstag - darüber beschweren, wenn die Wahlbeteiligung in einigen Bezirken seines Wahlkreises bei nur noch 25 Prozent liegt? Lassen sich die übrigen 75 Prozent etwa auschließlich am Wahlkampfstand oder in der Bürgersprechstunde überzeugen, dass auch ihre Stimme etwas ausrichten kann, zum Beispiel bei der Entscheidung, ob Karl Lauterbach beim nächsten Mal wieder in den Bundestag gewählt werden soll oder lieber nicht? Sollte ein Politiker nicht auch dorthin gehen, wo inzwischen 51 Millionen Deutsche anzutreffen sind, anstatt darauf zu hoffen, dass diese zu ihm kommen?

Einige Abgeordnete stemmen sich mit großer Vehemenz gegen die neuen Technologien. Bei manchen kann man es verstehen, sie sind groß geworden, als man zum Nachrichten gucken noch ins Kino gehen musste, wo die Wochenschau in schwarz-weiß über der Leinwand flimmerte. Bei anderen allerdings hat man den Eindruck, als kämpften sie in erster Linie gegen die Transparenz und Öffentlichkeit, die das Netz herstellt. Wer sich dem Internet verweigert, braucht keine unangenehmen Fragen zu beantworten, auch nicht zu seinem Doktortitel.

Er sei ein großer Befürworter von Transparenz, erklärte dann auch Lauterbach, etwa wenn es darum geht, welche Politiker mit welchen Unternehmen verbandelt seien. Bei sich selbst macht er aber auch schon mal eine Ausnahme (mehr: "Karl Lauterbach und das Versteckspiel mit dem Nebenverdienst", 23.1.2011). Da er auf abgeordnetenwatch.de keine Bürgerfragen beantwortet und sich auch nicht bei Facebook von anderen auf die Pinnwand schreiben lässt, bleibt Lauterbach von bohrenden Bürgern ziemlich unbehelligt.

So ist es auch bei Abgeordneten wie Wolfgang Thierse, von dem man als Bürger gerne wüsste, warum er sich zum Beispiel auf einem Bundestagsbriefpapier über einen lärmenden Wochenmarkt vor der eigenen Wohnungstür beschwerte. Und wenn sein Kollege Philipp Mißfelder einmal näher erläutern würde, warum er 85-Jährigen ein neues Hüftgelenk verwehren wollte, wäre dies aus Wählersicht (vor allem für Senioren) ebenfalls von großem Mehrwert. Außerdem erführe man von Axel E. Fischer gerne, was ihn als Vorsitzenden der "Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft" qualifiziert, wo er es mit dem Internet nach eigener Angabe nicht so hat und auch schon mal ein digitales Vermummungsverbot fordert. Allein: auf öffentliche Antworten wartet man bei den dreien vergeblich.

Es verwundert deswegen auch nicht, wenn ausgerechnet jene Abgeordnete sich weigern Bürgern öffentlich Rede und Antwort zu stehen, bei denen eine Auskunft zu ihren Nebentätigkeiten überaus erhellend wäre. Zum Beispiel Norbert Schindler, der Inhaber eines Agrarunternehmens, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, Präsident der Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz, Mitglied in vier Aufsichts- und drei Verwaltungsräten. Er begrüßt die Besucher seiner Homepage so:

Ich freue auch mich sehr, wenn mich die Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises unter meiner E-Mail Adresse norbert.schindler@bundestag.de oder auf dem Gästebuch dieser Homepage kontaktieren, nehme jedoch Abstand von der Teilnahme an wenig seriösen (kommerziellen) Diskussionsforen wie abgeordneten- oder kandidatenwatch.de.
Um ernst gemeinte Mails, deren sorgfältige Bearbeitung viel Zeit in Anspruch nimmt, von sogenannten „Spaßmails“ besser unterscheiden zu können, bitte ich Sie, auch stets Ihre vollständige Adresse anzugeben, damit mein Büro die Mails individuell und angemessen beantworten kann.

Oder Heinz Riesenhuber, Mitglied in zahlreichen Aufsichts-, Bei- und Verwaltungsräten. Oder Michael Glos. Oder Peer Steinbrück. Schlimm genug, dass sie alle nicht gerade den Eindruck erwecken, als stehe ihr Bundestagsmandat im Mittelpunkt der Abgeordnetentätigkeit. Beklagenswert auch, dass sie uns Bürgern gegenüber keine öffentliche Rechenschaft ablegen wollen. Wer als Volksvertreter seinem Volk diktieren will, auf welchem Weg es im 21. Jahrhundert mit ihm in Kontakt zu treten hat, hat nichts begriffen und trägt außerdem dazu bei, dass sich der Frust der Ungehörten über "die Politiker" sowohl on- als auch offline Bahn bricht. Erst durch sein Verhalten, seine Nebentätigkeiten, seine Politik kritische Wortmeldungen provozieren, doch dann nicht die Traute haben, sich diesen zu stellen - besser kann man einen allgemeinen Politikerverdruss nicht befördern. Das Tragische ist, dass einige wenige Politiker einen ganzen Berufsstand in Verruf bringen. Die allermeisten Abgeordneten, auf abgeordnetenwatch.de etwa 90 Prozent, sind zumindest zugänglich für öffentliche Fragen und Kritik, in den meisten Landesparlamenten ist die Quote ähnlich hoch.

Anstatt in ihrer Wagenburg zu hocken, wäre es für die Offline-Politiker ein guter Anfang, herauszutreten, das Visier hochzuklappen und sich Fragen und Kritik zu stellen. In der Bürgersprechstunde unter vier Augen, aber auch im Internet, vor den Augen Tausender.

 

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