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Steinbrücks Nebeneinkünfte oder Die Stunde der Populisten

Ausgerechnet FDP und CSU fordern von Peer Steinbrück nun die Offenlegung seiner Honorare für über 80 Vorträge. Doch dieselben Parteien blockieren seit über einem Jahr eine Reform, die für mehr Transparenz bei den Nebeneinkünften sorgen soll.

von Martin Reyher, 02.10.2012

Der erste Artikel über Peer Steinbrücks viel diskutierte Nebentätigkeiten erschien am 26. Mai 2010 hier im Blog. Die Überschrift lautete damals: Der Abgeordnete, der nur noch gegen Bezahlung redet.

 

 

Steinbrück hatte zwar eine Menge gut bezahlter Honorarvorträge in der freien Wirtschaft gehalten, sich im Bundestag aber nicht ein einziges Mal zu Wort gemeldet.

Je mehr wir recherchierten und berichteten, desto größer wurde nicht nur das mediale Interesse, sondern auch die öffentliche Empörung. Denn dass Steinbrück angesichts von inzwischen 81 Vorträgen, seiner Autorentätigkeit ("Unterm Strich"), einer Lesereise sowie zwei Aufsichtsratsmandaten noch in der Lage war, sich angemessen um seinen Fulltime-Job Bundestagsabgeordneter zu kümmern, konnte niemand ernsthaft behaupten.

 

Nun, einen Tag nach der Inthronisierung als SPD-Kanzlerkandidat, entdecken auf einmal auch die Regierungsparteien diese offene Flanke Steinbrücks. Einer der ersten, die sich öffentlich zu Wort meldeten, war - wie sollte es anders sein - der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Steinbrück solle seine Nebeneinkünfte offenlegen, und zwar detailliert, forderte er breitenwirksam via BILD. Für die FDP verlangte der Abgeordnete Patrick Kurth, Generalsekretär seiner Partei in Thüringen, sogar Aufklärung von Bundestagspräsident Norbert Lammert darüber, ob Steinbrücks Nebentätigkeiten vom Abgeordnetengesetz gedeckt seien.

Es war die Stunde der Populisten.

Dass sich nun aber ausgerechnet Vertreter von CSU und FDP zu Verteidigern von Transparenz und Moral in Sachen Nebeneinkünfte aufschwangen, das verlangte schon ein gehöriges Maß an Chuzpe. Denn seit über einem Jahr sind es die Koalitionsfraktionen, die sich gegen mehr Transparenz bei Nebeneinkünften zur Wehr setzen und eine Reform der Veröffentlichungspflichten erfolgreich blockieren. FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen gab gegenüber abgeordnetenwatch.de sogar offen zu, dass es in seiner Fraktion "erhebliche Einwände gegen die vorliegende Lösung" gebe - dabei hatte sie van Essen in der Rechtsstellungskommission des Ältestenrates ursprünglich selbst mit ausgehandelt.

Steinbrück möge doch bitte die genaue Höhe seiner Nebeneinkünfte veröffentlichen, forderte also der FDP-Abgeordnete Patrick Kurth. In Wirklichkeit könnte man den SPD-Kanzlerkandidaten schon Morgen zur kompletten Offenlegung zwingen - dazu müsste die FDP allerdings ihre bisherige Blockade in der Rechtsstellungskommission aufgeben. Dort ist für die Liberalen derzeit jedoch nicht einmal eine zustimmungsfähig. Deswegen wird es bis auf Weiteres nichts mit einem Offenlegungszwang für Steinbrück und alle anderen Bundestagsabgeordneten.

In einer besonders schönen Form tritt der Populismus zutage, wenn die FDP nun ausgerechnet darüber Aufklärung verlangt, ob Peer Steinbrück die Logistik seines Bundestagsbüros für seine privaten Rednereinsätze nutzt. Vor einigen Jahren tourte schon einmal ein namhafter Bundestagsabgeordneter als Honorarredner durch die Lande. Damals hielten sich die Liberalen mit der Forderung nach Transparenz allerdings äußerst bedeckt - der Vortragsreisende hieß:

Für insgesamt 36 bezahlte Vorträge wurde der damalige Partei- und Fraktionsvorsitzende in den Jahren 2006 bis 2009 aus der Privatwirtschaft gebucht, unter anderem von der AXA-Krankenversicherung und der Liechtensteiner LGT Bank (hier mehr über einen besonders bemerkenswerten Auftritt Westerwelles - beim FDP-Großspender DVAG).

Und der Seehofer Horst? Der ist zwar ebenfalls ein großer Redner, für gewöhnlich meldet er sich aber via Presse zu Wort, sogar ganz ohne Honorar. Und so lässt er die Welt heute wissen:

Wer Transparenz von anderen, etwa von den Banken einfordert, muss sich daran messen lassen und darf sich auch nicht wundern, wenn sie von ihm persönlich eingefordert wird.

Schaun mer mal, ob sich Seehofer über unsere heutige Mail wundert. Darin fordern wir von ihm, ganz persönlich, Transparenz bezüglich seiner Nebeneinkünfte aus den vergangenen Jahren ein. Dürfte ja kein Problem sein, von wegen messen lassen und so.

Fortsetzung folgt.

Update 23:20 Uhr: Von Peer Steinbrück wird es in nächster Zeit eine Stellungnahme zu seinen Nebeneinkünften geben, meldet Handelsblatt online unter Berufung auf dessen Büro. Das Portal schreibt weiter: "Da sich das Wahlkampfteam des frisch gekürten Kanzlerkandidaten aber gerade erst formiere, könne das noch ein Weilchen dauern."

Update 2, 3. Oktober 2012: BILD meldet online und in der heutigen Feiertagsausgabe, dass der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel seinen Fraktionskollegen Steinbrück zu vollkommener Transparenz rät:

Klaus Barthel, Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels, zu BILD am FEIERTAG: „Ich bin für eine Offenlegung der konkreten Nebenverdienste. Peer Steinbrück kann dadurch nur gewinnen. Mit solch einem Schritt für größte Transparenz setzt er seine Kritiker unter Druck, denn es sind Union und FDP, die sich einem Gesetz für eine komplette Offenlegung der Nebenverdienste verweigern.“

Für Peer Steinbrück ist eine Offenlegung jedoch keine Option. BILD schreibt:

Steinbrück selbst weist alle Kritik zurück. Gestern erklärte er: „Ich habe keinerlei schlechtes Gewissen. Ich entspreche vollständig den Anforderungen des deutschen Bundestages.“ Im Übrigen dürfe er, wenn er über eine Rednervermittlungsagentur gebucht worden sei, ohne Zustimmung des Vertragspartners gar nicht sein Honorar veröffentlichen.

Update 3, 3. Oktober 2012: Mehrere Medien (z.B. tagesschau.de, Focus online, n-tv.de) berichten heute über einen Vortrag von Peer Steinbrück bei der Großkanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, die während Steinbrücks Amtszeit als Finanzminister u.a. das Finanzmarktstabilisierungsgesetz erarbeitet hatte. Diese vermeintliche Enthüllung ist aber alles andere als neu, denn darüber berichteten wir hier im Blog bereits im Juli.

Update 4, 3. Oktober 2012: STERN-Redakteur Hans-Martin Tillack schreibt in seinem Blog:

Seit mehr als zwei Jahren schwelt die Debatte um dessen ausgeprägten Nebenerwerbssinn und seine lange wenig ausgeprägte Lust an der Abgeordnetentätigkeit – vor allem dank der hartnäckigen Nachfragen von abgeordnetenwatch.de. Doch die SPD-Spitze traf die Diskussion nun trotzdem offenkundig aus heiterem Himmel. Steinbrück selbst war ihr bisher mit Steinbrück’scher Wurstigkeit (nicht etwa er selbst, sondern abgeordnetenwatch sei von kommerziellen Interessen getrieben) begegnet. Einige Großkommentatoren gaben ihm Feuerschutz. Nur – das lernt die SPD nun mit Verspätung – ein Thema verschwindet nicht schon allein dadurch, dass es einige wichtige Journalisten nicht interessiert. Man muss schon auch die Bürger überzeugen. Und die reagieren seit Jahren zunehmend sensibel auf zu viel Lobbynähe der Politik. Wenn Politprofis das nicht mitbekommen, weil unter den anderen Berliner Politprofis kaum einer an Eskapaden wie denen des Peer Steinbrück Anstoß nimmt – dann stimmt eben irgend etwas nicht mit dieser Professionalität.

(Links im Original)

Update 5, 5. Oktober 2012: ZEIT ONLINE schreibt mit Bezug auf unsere Mail an Horst Seehofer mit Bitte um Offenlegung seiner eigenen Nebeneinkünfte:

Seit mehr zwei Jahren blockiert die Koalition schärfere Veröffentlichungsregeln für Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Man darf jetzt gespannt sein, wie Horst Seehofer, der von Steinbrück totale Transparenz gefordert hatte, auf entsprechende Forderungen bezüglich seiner Nebeneinkünfte reagieren wird. Vielleicht bewegt sich Schwarz-Gelb ja doch noch.

Update 6, 5. Oktober 2012: Peer Steinbrück lenkt ein und will in den nächsten Wochen für Transparenz bei seinen Honorarvorträgen sorgen. Der BILD-Zeitung sagte er:

Wenn die Arbeit in zwei bis drei Wochen abgeschlossen ist, werden Auftraggeber, Ort und Thema jedes einzelnen Vortrages veröffentlicht. Außerdem werde ich das durchschnittliche Honorar der bezahlten Vorträge vor und nach Steuern in den Jahren 2009 bis 2012 veröffentlichen.

Auf die Frage, warum er nicht jedes einzelne Honorar offenlege, erklärte Steinbrück:

Das ist so gut wie unmöglich, denn dazu müsste jeder Vertragspartner einzeln um Erlaubnis gefragt werden. Wenn nur ein Vertragspartner nicht zustimmt, hängen Sie am Fliegenfänger nach dem Motto: Das ist ja wieder nicht vollständig. Aus der Gesamtsumme der Honorare eine Durchschnittssumme zu veröffentlichen, liegt allerdings in meiner Hand.

An seine Kritiker aus der schwarz-gelben Koalition gerichtet sagte der SPD-Kanzlerkandidat:

Ich schlage hiermit vor, die Transparenzregeln des Deutschen Bundestages so zu verschärfen, dass alle Angeordnete auf Heller und Pfennig angeben müssen, von wem und wofür sie in welcher Höhe für eine Nebentätigkeit bezahlt worden sind. Ich fordere Union und FDP auf, einer solchen Neuregelung zuzustimmen. Außerdem fordere ich CDU und FDP auf, Abgeordnetenbestechung in Zukunft endlich unter Strafe zu stellen. Ich bin gespannt, ob Frau Merkel, Herr Westerwelle und Herr Seehofer dies unterstützen.

Update 7, 12.10.2012: Inzwischen liegt eine Antwort aus der Bayerischen Staatskanzlei zu unserer Anfrage bezüglich der Nebeneinkünfte von Ministerpräsident Horts Seehofer in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter vor. Ein Sprecher erklärte, Seehofer habe als Mitglied im Verwaltungsrat der Landwirtschaftlichen Rentenbank folgende Einkünfte gehabt: 13.500 Euro (2006), 12.500 Euro, (2007) 10.400 (2008). Aufsichtsratsmitglied sei er qua Amt (Bundeslandwirtschaftsminister) gewesen.

Seehofers Einkünfte aus seiner Aufsichtsratstätigkeit bei der Donau-Wasserkraft AG in der 15. Wahlperiode (2002 bis 2005) hätten sich auf rund 2.500 Euro im Jahr belaufen. Damals gab es noch keine Veröffentlichungspflicht der Einkünfte. Nach den heutigen Regeln entspräche dies der niedrigsten Stufe 1. Der Sprecher der Staatskanzlei erklärte, Seehofer habe keine Probleme mit der Veröffentlichung seiner damaligen Nebeneinkünfte.

Update 8, 12. Oktober 2012:

Das ARD-Magazin PANORAMA hat CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt mit der Frage konfrontiert, warum "CDU/CSU und FDP über Jahre hinweg eine Verschärfung der Transparenzregeln blockiert haben"? In seiner Antwort nimmt es Dobrindt mit den Fakten allerdings nicht sehr genau:

Nein, das trifft auch überhaupt nicht zu. Wir haben ja gemeinsam die jetzigen Regeln im Deutschen Bundestag geschaffen. (...) Wir haben gemeinsam die Regeln geschaffen, dass die Nebeneinkünfte von Abgeordneten in Stufen dargestellt und veröffentlicht werden.

Das jedoch ist die Unwahrheit. Denn CDU/CSU und FDP stimmten (zu Zeiten der rot-grünen Koalition) in der Bundestagssitzung vom 30. Juni 2005 nicht für, sondern gegen die jetzigen Transparenzregeln, wie sich im Protokoll der Sitzung auf Seite 142 nachlesen lässt:

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung [von SPD und Grünen zur "Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages – Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages"] ? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.

Es empfiehlt sich, das nur in Auszügen gesendete Panorama-Interview mit Alexander Dobrindt vollständig anzusehen. Denn der lässt sich auch durch die wiederholten Einwürfe des Reporters, dass CDU/CSU und FDP damals gegen die Stufenregelung stimmte, nicht aus der Ruhe bringen. Panorama fasst dies auf der Homepage so zusammen: "Alexander Dobrindt, CSU, verweigert im Interview systematisch die Antwort auf die Frage, warum Union und FDP ursprünglich gegen die Einführung der Transparenzregeln gestimmt haben."

... zum Interview mit Alexander Dobrindt auf der Panorama-Homepage

Update 29.10.2012: Nach einem Medienbericht soll Peer Steinbrück seit der Bundestagswahl 2009 insgesamt 1,25 Mio. Euro Honorar für die inzwischen 89 Vorträge erhalten haben. Das ergibt aus den Ergebnissen, die der von Steinbrück beauftragte Wirtschaftsprüfer zusammengestellt hat. Das höchste Einzelhonorar soll demzufolge 25 000 Euro betragen haben, das geringste 1 000 Euro.

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