Meine Arbeitswoche als Bundestagsabgeordneter

von Martin Reyher, 13.08.2010

Bürger-Anrufe wegen eines ausgefallenen Rikscha-Rennens, zähe Ausschusssitzungen und abends noch eine Diskussionsveranstaltung: Das ist der Alltag des nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten Uwe Schummer. In einem Gastbeitrag für abgeordnetenwatch.de beschreibt der Politiker eine typische Woche in der Hauptstadt sowie in seinem Wahlkreis Viersen. Dabei wird klar: Bundestagsabgeordneter ist ein Vollzeit-Job. Uwe Schummer hat mit den Bürgern in seinem Wahlkreis einen Vertrag geschlossen (pdf): Er legt seinen Steuerbescheid offen und erstattet Rechenschaft über seine Arbeit als Abgeordneter, im Gegenzug verpflichten sich die Bürger per Unterschrift, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Bei der Bundestagswahl im September 2009 gewann Schummer zum dritten Mal in Folge das Direktmandat in seinem Wahlkreis.

Von Uwe Schummer MdB

Eine typische Parlamentswoche:
Acht Uhr, die Taschen sind gepackt. Es geht zum Flughafen Düsseldorf und von dort weiter nach Berlin. Bundestagsabgeordnete arbeiten in Wechselschicht: zwei Wochen im Heimatkreis, dann zwei Wochen in Berlin, wenn der Deutsche Bundestag tagt. Auch in der sogenannten Parlamentarischen Sommerpause läuft die Arbeit weiter, in der Heimat. Lediglich das Parlament tagt in dieser Zeit nicht. Gegen elf Uhr erreiche ich mein Berliner Büro im Paul-Löbe-Haus in Sichtweite des Kanzleramtes. Nach einer launigen Begrüßung meiner Mitarbeiter besprechen wir die anstehenden Termine, Briefe und Mails. Täglich erhalte ich etwa 40 Mails mit unterschiedlichsten Themen. Oft sind es Mustertexte oder auch allgemeine Beschimpfungen. Da ich für meine Fraktion die Themen Bildung und Forschung bearbeite, konzentriere ich mich auf die Bürgereingaben, die entweder aus meinem Heimatkreis kommen oder die sich mit diesen Themen beschäftigen. Andere Kreise haben andere Abgeordnete, deren Arbeit ich nicht übernehmen möchte.

Um 12 Uhr beginnen die Vorgespräche über die parlamentarischen Initiativen der Facharbeitsgruppen Bildung und Forschung von Union und FDP. Von der Forschungsprämie über das Bildungssparen bis zum Hochschulpakt gibt es viel Stoff, der solide und gut vorbereitet werden will, bis er sitzt. Dann geht es vom Jakob-Kaiser-Haus die unterirdischen Gänge zurück zum Paul-Löbe-Haus ins Büro, in dem ich heute länger bleibe, weil um 19.30 Uhr die nordrhein-westfälische Landesgruppe der CDU tagt. Bei gutem Essen informieren wir uns über streitige Themen und stimmen ab, wie sich die Nordrhein-Westfalen zu welchen Themen in der Fraktion verhalten werden. Gegen 22.20 Uhr erreiche ich die Wohnung.

Der Dienstag beginnt um 9 Uhr mit dem Treffen der Facharbeitsgruppe Bildung und Forschung. Als Experten unserer Fraktion besprechen wir Initiativen, informieren uns über aktuelle Themen und bereiten die Ausschusssitzung am Mittwoch vor. Wer wird zu welchem Thema wann und wie lange im Parlament sprechen, diese Fragen stehen am Ende der Vorbereitung meiner Facharbeitsgruppe. Die Bafög-Erhöhung und das Nationale Stipendienprogramm müssen in zähen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern verhandelt werden. Deshalb nehmen auch Vertreter der Länder mit Gaststatus an den regelmäßig stattfindenden Sitzungen teil. Um 12 Uhr melde ich mich im Büro zurück. Dort liegen einige Beschwerden von heimischen Schützenvereinen zur Tarifpolitik der GEMA, deren Agenten oft mit wenig Gespür den ehrenamtlich geführten kulturtreibenden Vereinen das Leben erschweren und Geld herausholen wollen, wo überhaupt kein Geld zu holen ist. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages bearbeitet zu dieser Thematik eine Petition, die immer wieder von konkreten Schilderungen aus der Heimat gestützt wird.

14 Uhr, und es treffen sich die Mitglieder der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe, die Sozialpolitiker der Union. Heute berichtet Arbeitsministerin von der Leyen über ihr Konzept, wie Bildungschancen für Kinder aus einkommensschwachen Familien verbessert werden können. „Aufstieg durch Bildung“ ist unser gemeinsamer Ansatz. Nach einer Stunde wechseln wir in das Reichstagsgebäude in dem die Fraktionen ihre Beratungen aufnehmen. Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hält einen kurzen Bericht, Kanzlerin Angela Merkel ergänzt; dann beginnen die jeweiligen Berichterstatter ihre Themen der Woche vorzutragen. Manche Abstimmungen laufen schnell, andere werden lang und kritisch diskutiert, manchmal wieder vertagt, bis ein Konsens in der Fraktion erreicht ist. Am Ende werden die Themen und die Redner der nächsten Tage bekannt gegeben. Die Fraktionssitzung greift die Ergebnisse der Vorrunden auf, der Landesgruppen, der Facharbeitsgruppen und der soziologischen Gruppen wie die der Arbeitnehmer, des Mittelstandes, der Jungen Gruppe, Frauen und weitere. Nun sind es 18 Uhr und ich beschäftige mich im Büro, da ich um 20 Uhr eine Veranstaltung in Moabit habe. Themen sind das Sparpaket und wie kann Bildung aus der Krise führen? Nach einer klassischen Saalveranstaltung treffe ich um 23 Uhr meine Katzen wieder. Mittwoch ist der Hauptarbeitstag im Parlament. Ab 8.30 Uhr besprechen die Obleute der Fraktionen wie die Tagesordnung der anstehenden Ausschusssitzung abgearbeitet wird und wie die Tagesordnungen der nächsten Sitzungen aussehen werden. Heute haben wir einen zweigeteilten Ausschuss, erst werden 90 Minuten Themen wie die Kernfusion und das Nationale Stipendienprogramm beraten, dann folgen eine kurze Unterbrechung und die Expertenanhörung über den Europäischen Bildungsraum. Wie können grenzüberschreitend Kompetenzen der Menschen zwischen Portugal und Malta bewertet werden? Offenkundig müssen auch Grenzen im eigenen Land überwunden werden: die zwischen akademischer, schulischer und beruflicher Bildung. Nicht woher du kommst sondern was du kannst, ist die Frage, die wir mit einem Europäischen Qualifikationsrahmen beantworten wollen. Befragt werden Experten der Kammern, Hochschulen, Wirtschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften und der Kultusministerkonferenz. Nach einer Stippvisite im Büro bringt mich der Fahrdienst des Deutschen Bundestages zu einer Veranstaltung des Bundesverbandes für Personalmanagement. Im Rahmen eines Kongresses stelle ich mich mit weiteren Kollegen anderer Fraktionen den Fragen zur Demographie und der Ausgestaltung der Bildungsrepublik Deutschland. Es folgt ein Interview und die Rückfahrt zum Büro. Heute bin ich um 17.30 zu Hause.

Es gibt auch noch ein Leben nach oder neben der Politik. Donnerstag und Freitag sind die Plenartage in einer Parlamentswoche. Die Beratungen beginnen um 9 Uhr und sind am heutigen Donnerstag bis 22 Uhr vorgesehen. Im Büro angekommen schaue ich mir per Internet die lokale Berichterstattung in den Printmedien an, dann rufe ich die Mails ab und sichte die Post. Über den Parlamentskanal kann ich parallel zur Büroarbeit die Plenardebatten verfolgen. Nur Zwischenrufe sind von dieser Stelle aus sinnlos. Um 11 Uhr besucht mich eine Gruppe aus dem Kreis Viersen, 56 Schüler führe ich durch die parlamentarischen Gebäude; in einem Ausschussraum stelle ich mich den Fragen der Jugendlichen. Am Ende steht die Kuppel und ein wunderbarer Blick über die Dächer von Berlin. Im letzten Jahr fand diese Bürger-Politik-Begegnung mit 2.368 Bürgern statt. Das Bundestagsbüro ist auch die ständige Vertretung des Kreises Viersen in Berlin. Kurze Rast in der Kantine des Paul-Löbe-Hauses, zurück ins Büro. Dort klären wir mit der Deutschen Bahn und dem Verkehrsministerium die Frage, ob und wie aus Mitteln des Konjunkturpaketes Lärmschutz finanziert werden kann. Die Auskünfte sind vage, doch wir suchen nach kreativen Lösungen.

Kurz vor 15 Uhr beginnt ein bildungspolitisches Thema im Plenum, es geht um die Kombination von Bildung und Entwicklungsarbeit. Folglich sind die Facharbeitsgruppen Bildung und Forschung sowie Entwicklungshilfe und Menschenrechte gefordert, im Plenum auch körperlich Präsenz zu zeigen. Zwei Stunden später treffen wir uns mit Haushältern um über den Bildungs- und Forschungshaushalt 2011 zu sprechen. Gegen 18 Uhr bereite ich im Büro meine Heimattermine vor. Bis zum Ende des Plenums sind wir für die Fraktion per SMS oder Durchruf erreichbar, falls ein „Hammelsprung“ oder andere überraschende Ereignisse im Plenum stattfinden. Freitagmorgen empfange ich weitere Gruppen aus dem Kreis Viersen. Wir absolvieren den obligatorischen Rundgang und diskutieren im Fraktionsraum die aktuelle Lage, die bei weitem besser ist als die Stimmung. Vor einem Jahr war es noch umgekehrt. Welche Ironie.

An diesem Freitag ist das Plenum um 15.30 Uhr beendet. Letzte Gespräche, Telefonate und Arbeiten im Büro. Gegen 17 Uhr werde ich zum Flughafen Tegel gebracht. Die Heimat ruft. Um 19.15 Uhr holt mich ein Mitarbeiter aus Willich ab. Am Wochenende stehen die Festveranstaltungen des Kempener Turnvereins, ein Schützenfest und meine Rede zur Lossprechung von Bäckergesellen auf dem Programm.

Und nun die klassische Heimatwoche:
Montag, 9.00 Uhr, zu Hause in Willich klingelt das Telefon. Die Leiterin einer Schule ruft an und teilt mir mit, dass das geplante Rikscha-Rennen ausfällt, weil aufgrund der brütenden Hitze die gesundheitlichen Risiken für die Schüler zu groß wären. Die Schule hat eine Partnerschaft mit Bangla-Desh und dies sollte heute mit einem Aktionstag gefeiert werden. Zwei Stunden später spreche ich mit dem Chef einer Spedition im Familienbesitz. Vater und Sohn wollen von mir wissen, wie die Zukunft im Transportgewerbe aussieht und ob eine Nachfolgeregelung vom Vater auf den Sohn noch sinnvoll ist. Nach einer Mittagspause komme ich gegen 15 Uhr zum Bürgerbüro nach Viersen. Briefe, Unterschriften, Termine werden abgestimmt bis ich um 16 Uhr nach Hause fahre. Ab 18 Uhr besichtige ich ein Nahrungsmittelunternehmen, gemeinsam mit der Mittelstandsvereinigung. Im Anschluss findet deren Mitgliederversammlung statt und darin enthalten ist mein „Bericht aus Berlin“ über den wir angeregt bis 21.30 diskutieren.

Dienstagmorgen lese ich erst die lokalen Medien, dann fahre ich zu meinem Bürgerbüro in die Kreisstadt. Ab 11 Uhr finden Bürgersprechstunden zu unterschiedlichen Themen statt. Heutiger Schwerpunkt ist die Gesundheitspolitik. Am Nachmittag ist eine weitere Bürgersprechstunde im alten Rathaus in Willich vorgesehen; auch hier haben sich drei Bürger mit verschiedenen Themen zur Rente und zur Familienförderung angemeldet. Die Gespräche laufen im 30-Minuten-Takt. Ein Treffen mit den Geschäftsführern eines Krankenhauses schließt sich an. Es geht um Umbaumaßnahmen. Danach tagt der Vorstand der CDU Willich bis 21. Uhr. Mittwoch starte ich etwas später, fahre gegen 10 Uhr zum Bürgerbüro, anschließend einkaufen, private Termine, ab 15 Uhr fahre ich mit meinem Opel Astra nach Mannheim. Dort bestreite ich eine Veranstaltung über die christlich-sozialen Wurzeln der Union von Ketteler über Kolping bis zur Bekennenden Kirche. Heftiger Regen, die A 3 mit Aquaplaning und gegen 1 Uhr nachts hat mich meine Heimatstadt wieder. Donnerstags beginnt um 10 Uhr die Vorbereitung für ein Pressegespräch mit dem Kempener Probst und dem Bürgermeister der Stadt Kempen über die Überreichung einer von mir gestifteten Thomas-a-Kempis-Ehrenstele an den luxemburgischen Staatspräsidenten Jean-Claude Juncker. Danach folgt die Fahrt in mein Bürgerbüro, ein Mittagessen bis mich der Bürgermeister von Willich abholt. Wir fahren zur Arbeitsagentur nach Krefeld um die Reform der JobCenter und die Auswirkungen auf die Arbeitsmarktpolitik zu besprechen. Es ist 16 Uhr, ich bin zu Hause und für mich ist heute „Schicht.“

Freitagmorgen fahre ich nach der täglichen Zeitungslektüre nach Bonn. Der Direktor des Berufsbildungsinstitutes informiert mich über Projekte zur frühzeitigen Berufsorientierung. Mittags spreche ich in Königswinter mit dem Leiter des Arbeitnehmerzentrums, ein Bildungshaus. Unser Thema ist die politische Bildung. Bonn, der Rhein und das Siebengebirge, gutes Wetter, am Wochenende sind keine Termine, die Sommerferien haben begonnen: ich genieße zwei Tage spontanen Urlaub in der Bundesstadt.

Das auch noch: Geld
Abgeordnete erhalten Diäten, die wie andere Einkommen versteuert werden. Die Höhe der Einkünfte sollten dem Einkommen des Bürgermeisters einer Kleinstadt entsprechen. Hinzu kommt eine Kostenpauschale für die Ausübung des Mandates. Die durchschnittlichen Diäten betrugen im letzten Jahr 7.646 Euro. An steuerlicher Vorauszahlung habe ich monatlich 2.348 Euro an das Finanzamt gezahlt. Hinzu kommt meine Kranken- und Pflegeversicherung bei der AOK, aber auch die Beiträge zur IG Metall und der CDU. Der Nettobetrag liegt bei 4.984 Euro, den ich einschließlich Nacht- und Wochenendarbeit mit einer 70-Stunden-Woche verbinden muss um den Netto-Stundenlohn zu errechnen. Ein Abgeordneter sollte so mindestens so viel arbeiten wie ein Facharbeiter, der zusätzlich den Vorsitz eines Vereins oder ein kommunalpolitisches Mandat ausübt. Hier gehen Hauptamt und Ehrenamt ineinander über.

Hinzu kommt die monatliche Aufwandspauschale von 3.969 Euro. Hiervon bezahle ich die zweite Haushaltsführung in Berlin mit 600 Euro, Bürokosten wie Porto, Miete und Medien für das Bürgerbüro im Heimatkreis von 725 Euro. Die Autokosten betragen 350 Euro. Für Spenden an Vereine und soziale Projekte zahle ich monatlich 192,26 Euro, an Sonderzuschüssen für Berlinfahrten nochmals 585,72 Euro. Hinzu kommen Druckkosten für meinen jährlichen Rechenschaftsbericht von 2.300 Euro. Im Rahmen eines Bürgervertrages habe ich 2002 unterzeichnet, allen Interessierten meine finanziellen Einnahmen offen zu legen und einen politischen Rechenschaftsbericht über meine Arbeit in Berlin zuzusenden. Im Gegenzug haben sich die Bürgervertragspartner verpflichtet, auf jeden Fall ihr Wahlrecht zu nutzen.

 

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