Warum Schwarz-Gelb keine Chaostruppe ist

"Gurkentruppe", "Wildsau" - die verbalen Keilereien im schwarz-gelben Bündnis stehen stellvertretend für die koalitionsinternen Zwistigkeiten. Doch eine Analyse des Abstimmungsverhaltens fördert nun Überraschendes zutage: CDU, CSU und FDP verhalten sich bislang äußerst homogen - im Gegensatz zur Großen Koalition zwischen 2005 und 2009. Gregor Aisch von vis4.net hat die abgeordnetenwatch.de-Daten von 79 namentlichen Abstimmungen in zwei Grafiken aufbereitet. Zum ersten Mal wird deutlich, wie groß die Übereinstimmung von Koalitionsparteien bei Abstimmungen ist - oder auch nicht.

von Martin Reyher, 16.11.2010

Hinweise: 1. Dargestellt sind in den Grafiken die Zustimmungsraten bei allen von abgeordnetenwatch.de dokumentierten namentlichen Abstimmungen zwischen 2005 und 2010. 2. Die farbigen Punkte stellen die einzelnen Parteien dar. Ihre Größe ist proportional zur Anzahl der gewählten Abgeordneten, um auch optische die Gewichtung der Partei im Bundestag anzudeuten. 3. An den horizontalen grauen Balken lässt sich die Gesamtzustimmung des Bundestags zu jeder Abstimmung ablesen. 4. Eine beschriftete Großansicht erhalten Sie durch Anklicken der jeweiligen Grafik.

Die Große Koalition (2005-2009):
 

Im Grunde herrschte bei den Abgeordneten von CDU, CSU und SPD nur in wenigen Punkten vollkommene Einigkeit: beim Bankenrettungspaket (17.10.2008), der Gesundheitsreform (2.2.2007), dem Haushalt 2009 (29.11.2008), den Bundeswehreinsätzen in Darfur und dem Kosovo sowie bei der Einführung von Internetsperren (18.6.2009). In der Grafik sind diese Abstimmungen daran zu erkennen, dass sich die großen schwarzen und roten Punkte (CDU bzw. SPD) sowie der kleine blaue Punkt (CSU) überlappen. In diesen Fällen war die Zustimmungsrate der drei Koalitionspartner gleichhoch, es herrschte Einigkeit.

Sehr viel häufiger ist dagegen zu erkennen, dass zumindest eine der drei Parteien aus der Reihe tanzt. Beispielhaft hierfür ist die Abstimmung über den Tornado-Einsatz vom 9.3.2007, als nicht einmal zwei Drittel der SPD-Abgeordneten zustimmten, aber etwa 90 Prozent der CDU- und CSU-Abgeordneten. Den umgekehrten Fall gab es bei der Abstimmung über die Einführung des Postmindestlohns vom 14.12.2007, bei der die Zustimmungsquote unter den SPD-Parlamentariern bei 92,3 Prozent lag, während auf Seiten von CDU- und CSU nur 79,1 bzw. 78,3 Prozent der Abgeordneten zustimmten. Weitere Auffälligkeiten:

  • Beim Thema Emissionshandel (22.6.2007) liegen CSU und SPD näher beieinander als CSU und CDU.
  • Bei der Abstimmung über das Antidiskriminierungsgesetz vom 29.6.2006 zeigt sich die ideologische Nähe von SPD und den oppositionellen Grünen. Die Zustimmungsraten beider Parteien ist mit über 90 Prozent nahezu deckungsgleich. Von den CDU- und CSU-Abgeordneten votierten dagegen weniger als 80 Prozent für das Gesetz.
  • Nie waren sich die Oppositionsparteien so einig bei der Ablehnung eines Antrags wie bei der Abstimmung über die Diätenerhöhung vom 16.11.2007.

Die schwarz-gelbe Koalition (seit 2009):
 

Mag die subjektive Empfindung auch eine andere sein: Zumindest bei den Abstimmungen passt kein Blatt zwischen CDU, CSU und FDP. Lediglich die Christsozialen (blauer Punkt) scheren hin und wieder aus wie bei der Verabschiedung der Gesundheitsreform am vergangenen Freitag (12.11.2010). Ansonsten: weitgehende Homogenität.

Ins Auge springen dagegen die vier großen roten Punkte in der Mitte der Grafik. Sie stehen für die Enthaltung der SPD bei den Abstimmungen über den Notkredit für Griechenland (7.5.2010), den Euro-Rettungsschirm (21.5.2010), den Austritt aus der Kernfusion ITER (10.6.2010) sowie die Abschaffung der Wehrpflicht (17.6.2010). Auch die Grünen enthielten sich einige Male mehrheitlich der Stimme (Verlängerung des Afghanistaneinsatzes, Euro-Rettungsschirm, Einführung bundesweiter Volksentscheide). Überraschend ist die Enthaltung der Linken bei dem äußerst polarisierenden Thema "Verzicht auf Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe" (4.12.2009).

Mehr zur Berechnungsmethode im Blog von Gregor Aisch unter vis4.net.

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