“Wir müssen raus aus der Komfortzone!” - Was der DemokratieBus in Bayern bewegen will

In diesem Sommer tourt ein markanter Oldtimer-Doppeldeckerbus durch bayerische Städte und Gemeinden. Auf Marktplätzen wollen die Initiatoren mit Menschen über Demokratie und das Leben ins Gespräch kommen. „Die Einführung der Demokratie in Deutschland war ein hartes Stück Arbeit“, sagt Projektleiter Shai Hoffmann, „und deshalb sollten wir heute jeden Tag dafür kämpfen“. Im Interview erzählt Hoffmann, wie er die Begegnungen erlebt – auch mit Menschen, mit denen er sich sonst wohl nie unterhalten hätte.

von Christina Lüdtke, 23.07.2018

In diesem Sommer tourt ein markanter Oldtimer-Doppeldeckerbus durch 15 bayerische Städte und Gemeinden. Auf Marktplätzen wollen die Initiatoren mit Menschen über Demokratie und das Leben ins Gespräch kommen. „Die Einführung der Demokratie in Deutschland war ein hartes Stück Arbeit“, sagt Projektleiter Shai Hoffmann, „und deshalb sollten wir heute jeden Tag dafür kämpfen“.

Das Bayerische Bündnis für Toleranz mit seinen über 70 Mitgliedsorganisationen hat das Projekt im Rahmen seiner Jahresaktion „Demokratie find’ ich gut“ mit auf die Beine gestellt und ist vor Ort ebenfalls dabei. Ob Podiumsdiskussion, persönliche Gespräche bei einem Kaffee oder Interviews für Videotagebücher – jede Form der Kommunikation ist willkommen. Zusätzlich werden die Passanten gebeten, auf den Bus zu schreiben, was Demokratie für sie bedeutet.

Shai Hoffmann / © Peter van Heesen

Wir haben mit DemokratieBus-Initiator Shai Hoffmann nach der ersten Woche gesprochen.

Bei abgeordnetenwatch.de bringen wir zu Wahlen Politiker*innen und Bürger*innen zusammen. Warum habt ihr die Offline-Aktion „DemokratieBus“ gestartet?

Mich beunruhigt und erschreckt zum Teil die aktuelle Diskurskultur, besonders die in den sozialen Medien. Sie ist nicht mehr zugewandt und konstruktiv und geschieht nicht mehr auf Augenhöhe. Es geht gar nicht mehr um den echten Austausch und Fakten. Es wird gehasst und beleidigt.

Die vermeintlich smarten Algorithmen, die uns in den sozialen Medien nur das ausspielen, was uns interessieren könnte, schaffen eine Filterblase und tun unserer Kommunikationskultur nicht gut. Mit dem DemokratieBus wollen wir hier also raus aus der Filterblase, um analoge Räume zu schaffen, in denen Kommunikation anders geschehen kann.

Ein Beispiel: An einigen Tagen habe ich mich vor die Leute gestellt und gesagt: „Wer will mich hier und jetzt beleidigen? Freiwillige vor!“ - und keiner hat‘s gemacht. Von Angesicht zu Angesicht, umgeben von anderen Menschen geht man zum Glück nicht so miteinander um. So wünschen wir uns das überall.

Glaubt ihr, derartige Gespräche können der Demokratie helfen?

Das war auch ein Grund für das Projekt: Die Selbstverständlichkeit, mit der viele – ich auch – hier in Deutschland leben. Wir sind eine der stärksten Wirtschaftsmächte, wir sind sicher eingebettet in die EU. Wir jetten für 6,99 € durch Europa, ohne jemals unseren Reisepass  zeigen zu müssen. Unser Reisepass gilt übrigens als einer der wertvollsten der Welt, er verschafft uns beinahe überall willkommenen Zugang.

Was uns zusammenhält, ist unsere demokratische Verfassung, das Grundgesetz. Inzwischen sitzen Politiker*innen in den deutschen Parlamenten, die diese tagtäglich herausfordern, in dem sie den Rahmen des Sagbaren immer weiter ausdehnen.

DemokratieBus Tour 2 im September 2018
DemokratieBus Tour Teil 2 / © Shai Hoffmann

All diese Privilegien verpflichten uns, z.B. Projekte wie den DemokratieBus zu starten und uns wieder darauf zu besinnen, dass die Einführung der Demokratie nach dem zweiten Weltkrieg eine alternativlose Errungenschaft ist. Keine Frage: Demokratie ist manchmal recht behäbig und bei Entscheidungen komplexer Sachverhalte wird zu Recht auch mal länger diskutiert. Doch das ist es in der Regel wert, weil die Demokratie ein zivilisiertes Zusammenleben ermöglicht und viele Vorteile mit sich bringt.

Wir leben Demokratie jeden Tag, ob im Büro, im Freundeskreis, in der Schule oder Politik. Mit dem DemokratieBus wollen wir das Bewusstsein dafür schärfen, dass Demokratie nichts Abstraktes ist, sondern unseren Alltag überall durchdringt und durchaus greifbar ist

abgeordnetenwatch.de ist ja auch so ein cooles Projekt – wir fragen unsere Gesprächspartner oft: Wart ihr denn schon mal bei deinem Abgeordneten im Wahlkreisbüro, denn so beginnt ja eigentlich Partizipation? Dort kannst du ihm sagen, was dir wichtig ist. Er beschäftigt sich damit und trägt es weiter und ins Parlament. Das geht bei euch mit den Fragen ja auch online.

Ihr seid zwei Wochen unterwegs. Warum habt ihr die Zeiträume gesplittet und was sind eure Erfahrungen jetzt nach Woche 1?

Das stimmt, wir waren Anfang Juli unterwegs und dann noch mal im September. Der zweite Termin liegt näher an den Landtags- und evangelisch-lutherischen Kirchenvorstandswahlen. Wir wollen sehen, ob das die Gespräche verändert. Die Stückelung ist auch für uns gut, weil wir möglichst viel aufnehmen wollen; das ist zwei Wochen lang ohne Pause nur bedingt möglich. Außerdem können wir jetzt reflektieren, ob es Dinge gibt, die wir in der zweiten Hälfte anders machen wollen.

DemokratieBus - Shai Hoffmann und Team fahren durch Bayern
DemokratieBus und Team / © Milli Leibfarth

Ein persönliches Highlight war es, die Gesichter der Leute zu beobachten, während wir mit unserem vier Meter hohen Doppeldecker-Bus an ihnen vorbeigefahren sind und sie das Wort „DemokratieBus“ auf der Seite entdeckten. Man sah, wie der Bus eine Reibung und ein Fragezeichen hinterließ. Genau das ist unser Ziel: Wir möchten nicht belehren, sondern vielmehr Denkanstöße setzen.

Grundlegend toll war, wie herzlich die meisten Leute waren. Wir fühlten uns total willkommen. Interessant fand ich, dass sich sehr viele Leute von Seehofers Fokus auf die Asylpolitik distanzieren. “Es gibt viel wichtigere Probleme, die uns im Alltag beschäftigen”, so eine Frau zu mir. Und vor allem berichteten viele, wie gut es ihnen eigentlich gehe und welche große Rolle die Demokratie dabei spielt. „Wenn man mal Länder kennengelernt hat, wo man nicht alles sagen darf … – hier kann ich alles sagen“, fasste ein Besucher zusammen, wie wichtig zum Beispiel Meinungsfreiheit innerhalb der Demokratie ist. Sie sehen natürlich auch mögliche Hürden. Eine Frau meinte: „Ich merke an mir selbst die Ungeduld. (…) Aber mir ist klar: Es geht immer langsamer, je demokratischer es wird.“

Gab es auch andere Stimmen?

Es kamen auch viele, die sich über die Politik echauffierten. Aber wir wollen ja auch, dass alle Leute mit uns reden. Manche haben sich rassistisch geäußert, andere haben sich aus eigener sozialer Schieflage heraus so manches Vorurteil angeeignet: So hat eine Frau erzählt, dass sie seit Jahren jeden Cent umdrehen muss, weshalb sie gegen Wirtschaftsflüchtlinge sei. Auf die wiederholte Nachfrage, wo der Zusammenhang bestehe, konnte sie aber nicht antworten. Ich hatte dennoch das Gefühl, dass sie am Ende des Gesprächs durchaus einen Denkanstoß mitgenommen hat.

Wir wollen die Leute nicht belehren oder ihnen erzählen, dass sie nicht Recht haben oder Rassisten wären. Wir hören zu. Erst einmal bedingungslos. Wir alle müssen dabei aus unserer Komfortzone heraus: Ohne den DemokratieBus hätte ich mich mit diesen Menschen nie unterhalten – und sie sich nicht mit mir. Alleine dieser Austausch ist sinn- und wertvoll.

Was hoffst du, mit dem Projekt zu bewegen? Bei den Menschen, mit denen du gesprochen hast, und bei denen, die die Videotagebücher sehen?

Wir schaffen Berührungspunkte. Mein Selbstverständnis, also wie ich mein eigenes Leben wahrnehme, ändert sich dadurch. Ich hoffe, dass die Leute die andere Sichtweise ihres Gegenübers mitnehmen und es sie ein Stück begleitet, sie vielleicht verändert oder inspiriert, auch anderen Leuten diese neue Sichtweise zu eröffnen. Vielleicht hören sie beim nächsten Mal auch eher zu und sind bzw. werden empathischer.

Mit unseren Videotagebüchern “DemokratieBus durch Bayern”, die im Internet zu sehen sind, nehmen wir viele andere Menschen mit auf die Reise. Im besten Fall inspirieren und ermutigen wir sie mit unseren Aufnahmen dazu, über die Demokratie und ihre Mitmenschen nachzudenken.

Nächstes Jahr wählen wir das EU-Parlament sowie vier Landtage neu – was sind eure Pläne?

Mein persönlicher Traum wäre es ja, mehrere Monate durch Europa zu touren. Aber das ist für unser kleines Team so nicht umsetzbar. Ein „EuropaBus der Demokratie“ mit Menschen aus der ganzen EU ist für Deutschland angedacht. Auch bei den diversen bevorstehenden Landtagswahlen werden wir selber Projekte angehen – und vielleicht ja ganz viele andere auch. Denn: Demokratie geht ja uns alle an!


Finanziert wird das Projekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Topf „Demokratie leben“) und dem bayerischen Staatsministerium für Familie und Sozialordnung. Für die Videotagebücher haben die Gründer eine Crowdfunding-Kampagner auf Startnext gestartet.

Die Tour im September (15.-22.) wird den Bus u.a. nach Ansbach, Nürnberg und Bamberg führen.

 

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