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Carsten Werner
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Frage von Klaus B. •

Frage an Carsten Werner von Klaus B. bezüglich Medien

Sehr geehrter Herr Werner,

1. wo im Kulturbereich sehen sie Möglichkleiten der Einsparung?

2. Brauchen wir das Theater in Bremerhaven?

3. Sind sie für einen Mindeslohn für SchauspielerInnen und TänzerInnen in der Bremer Kulturszene?

4. Was sollte im Kulturbereich anders gemacht werden?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bernhard,

vielen Dank für Ihre Fragen!

> 1. wo im Kulturbereich sehen sie Möglichkeiten der Einsparung?

Ich kann mir vorstellen, dass es für einige Kultureinrichtungen Einsparmöglichkeiten oder Synergieeffekte in den Bereichen Verwaltung und Controlling gibt, die im Rahmen eines konkreten Bürokratieabbaus evtl. durch Kooperationen, Partnerschaften oder mittelfristig durch Fusionen zu wirtschaftlichen Effekten führen könnten.
Insgesamt ist es aber so, dass Bremens Kultureinrichtungen im nationalen Vergleich mit sehr geringen Budgets und sehr knapper Personalausstattung arbeiten. Ich gehe nicht davon aus, dass im Kulturhaushalt insgesamt sehr große Einsparungen möglich sind. Denn die größten Haushaltsposten machen die großen, etablierten Einrichtungen aus - die wir als künstlerische Maßstäbe, Takt- und Impulsgeber als zehntgrößten Stadt Deutschlands auch brauchen.

Allerdings finde ich es wichtig, dass gerade im Bereich von Kunst und Kultur immer auch Neues möglich wird. Nicht nur in Zeiten einer Haushaltsnotlage scheint es mir daher erlaubt und geboten, auch darüber nachzudenken und zu streiten, was wir vielleicht NICHT immer weiter brauchen. Das darf aber nicht allein eine politische oder gar eine Verwaltungs-Entscheidung sein - darüber muss offen und öffentlich diskutiert und gestritten werden.
So finde ich beispielsweise Struktur, Aufgaben, Programm und Finanzrahmen des Bürgerrundfunks ("Offener Kanal") nicht mehr zeitgemäß. Diese Mittel und Strukturen müssen im Rahmen der kulturellen Bildung, der Bürgerbeteilgung und der Medien-Innovation viel besser eingesetzt werden.
Zudem möchte ich mehr Klarheit darüber gewinnen, wie hoch und wofür Kultureinrichtungen z.B. aus Globalmitteln, Projektmitteln,Stiftungsmitteln, Impulsmitteln, Umbautöpfen etc. neben dem eigentlichen Haushalt bezuschusst werden. Es wäre zu prüfen, ob und wie es hier zu einem gezielteren und bewussteren Einsatz der Mittel kommen kann.
Wichtig finde ich, dass kommerziell orientierte Kulturunternehmen sich tatsächlich selbst tragen: Dafür, dass Musicals, Boulevardtheater, Kinos und andere Unterhaltungsangebote ohne staatliche Zuschüsse erfolgreich sein können, gibt es etwa mit dem "Fritz" , dem Theaterschiff und den Filmkunsttheatern gute Beispiele.

> 2. Brauchen wir das Theater in Bremerhaven?

Ich denke, dass Bremerhaven als Stadt ein eigenes Theater braucht, ja - um so mehr, je mehr Tourismus und Freizeit wichtige Wirtschaftsfaktoren der Stadt werden. Am Stadttheater Bremerhaven werden gerade in letzter Zeit Programm und Auftrag sehr erfolgreich erneuert und modernisiert. Vielleicht lässt sich das Bewusstsein dafür durch gezielte inhaltliche Kooperationen mit stadtbremischen Einrichtungen und Programmen stärken.
Aber auch für Bremerhaven finde ich eine klare Abgrenzung kommerzieller privater Angebote von städtischen Angeboten mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag richtig und wichtig.

> 3. Sind sie für einen Mindeslohn für SchauspielerInnen und TänzerInnen in der Bremer Kulturszene?

Ich bin generell für Mindeslöhne. Aus meiner eigenen Berufserfahrung in Theatern, Kultureinrichtungen und Medienunternehmen weiß ich aber auch, wie schwierig ein Stundenlohn für Künstler und Kreative überhaupt zu definieren ist - Phasen von Arbeitslosigkeit, Fortbildung, Konzeptionszeiten, Freizeit oder Urlaub sind hier oft kaum klar voneinander abzugrenzen. Selbst die Abgrenzung zwischen Arbeit und Hobby ist in sozialen und steuerlichen Fragen oft eine Herausforderung. Das ändert aber nichts daran, dass Künstler von ihrer Arbeit leben können müssen. Wahrscheinlich ist dies aber eher durch eine Reform des (auf Stadttheater zugeschnittenen) "Normalvertrag Solo", durch eine Arbeitslosenversicherung etwa nach dem Vorbild der Künstlersozialkasse KSK und vor allem durch Aufträge an professionelle Kreative auch aus den Bereichen Bildung , Soziales und Stadtentwicklung zu lösen, als durch einen "klassischen" Mindest(stunden)lohn. Auch im Bereich der Medienpolitik und der Netzpolitik halte ich die Entlohnung der kreativen Inhalteproduzenten für ein vorrangiges Thema.
In einer umfangreichen Studie für den Fonds Darstellende Künste über die soziale Situation darstellender Künstler in Deutschland, die ich für Bremen miterarbeitet habe, hatte dieses Thema - gemeinsam mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - die höchste Priorität und Relevanz für die befragten Künstler.
Ich will mich dafür einsetzen, dass auch Bildungs-, Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik sich mit diesem Thema befassen - deshalb begrüße ich Ihre Frage sehr!

> 4. Was sollte im Kulturbereich anders gemacht werden?

1. Kulturpolitik wurde in der Vergangenheit zu sehr (oft fast ausschließlich) als Kultur-Finanzierungspolitik betrieben. Dies reduziert die Auseinandersetzung auf die Kosten - und verstellt den Blick auf die Aufgaben, Erfolge und Wirksamkeit von Kunst und Kultur. Kulturpolitik muss künftig viel enger mit Bildungs-, Stadtentwicklungs-, Wirtschafts-, Sozial- und auch Gesundheitspolitik zusammengedacht und -gemacht werden.

2. Künstler und Kreative müssen persönlich intensiver in den Diskurs über den Umbau unserer Gesellschaft einbezogen werden - sie können hier wertvolle Arbeit als Vermittler, Entwickler und Berater leisten, können Übergänge gestalten und Bürgerbeteiligung als Gestaltungsangebot (nicht als Protest) begleiten. Ich setze mich deshalb für Verbindungsstrukturen ein: Netzwerke, "Task Forces", Beratung und Vermittlung. Künstler und Kreative - nicht (nur) Einrichtungsleiter - müssen Gesprächspartner für Verwaltungen, Politik und Unternehmen werden. Zu Think Tanks, Runden Tischen, Delegations- und Deputationsreisen gehören nicht nur Wirtschaftsvertreter, sondern auch Künstler!

3. Kulturelle Bildung - in den Schulen, in den Kindergärten und auch einrichtungsunabhängig - muss auch auf Verwaltungsebene entwickelt und bearbeitet werden. Auf Dauer reichen hier Ankündigungen, Lob und guter Wille nicht aus, um wirklich etwas zu verändern. Konkrete Unternehmenspartnerschaften zwischen Bildungseinrichtungen und Kultureinrichtungen müssen flächendeckend unterstützt werden.

4. Wir müssen die Stadtteile - vor allem auch Bremen-Nord, Bremerhaven und die erweiterte City - in ihren jeweiligen Qualitäten neu begreifen und für/mit Kultur verbinden: Gegenseitige oder gemeinsame Stipendien und der Austausch von Projekten wären dafür erste, kostenneutrale Schritte, die jeweils den Horizont erweitern.

5. Bremen braucht ein (neues?) Stadtmarketing, dass Bremen offensiver und moderner als "kreative Stadt" vermarktet. Bezeichnenderweise waren alle Verantwortlichen (auch ich) kürzlich sehr überrascht, dass Bremen laut einer Studie deutschlandweit besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen tourístisch ganz besonders beliebt ist. Darauf ist das Stadtmarketing nicht eingestellt. Der Kulturbereich bietet die Chance, Bremen international in diesem Feld besser zu vernetzen - dazu müssen Künstler und Kreative daran beteiligt werden.

6. Bremer Angebote der Künstlerförderung - Ausschreibungen, Stipendien, Preise, Projektaufträge und -förderungen - sollten in einem zentralen Portal mit einer Mindestbewerbungslaufzeit veröffentlicht werden. Damit könnten wir Grüppchenbildungen, unnötigen "Zuständigkeiten" und Insiderwissen begegnen und würden den offenen Austausch befördern.

7. Künstler und Kreative in Bremen müssen sich eine Lobby schaffen, ihre Anliegen deutlich und begreiflich machen, ihre Leistungen anbieten. Das ist keine Aufgabe von Politik oder Verwaltung.

... und: Die Bremer Bibliotheken müssen sonntags geöffnet haben. Das Bremer Theater braucht einen kräftigen, positiv beeindruckenden Neustart. Kreative Existenzgründungen müssen einfacher gefördert werden. Die Überseestadt und vielleicht auch der neue Hulsberg-Stadtteil am Klinikum Mitte brauchen ein Kulturkonzept. Der Unisee und sein Umfeld müssen kreativ entwickelt werden und dürfen nicht zum rein kommerziellen Spekulationsfeld werden. Ich will die vielen engagierten Zirkel, die allzuoft nebeneinanderher arbeiten, vernetzen. Und ich möchte mich gegen unnötigen Lärm im Stadtleben und mehr Aufenthaltsqualität auf den Straßen einsetzen - das ist nicht nur, aber auch eine ästhetische Frage.

Sie sehen: Kulturpolitik ist für mich Stadtentwicklungspolitik. Es wäre schade und fatal, sie auf Einrichtungsfinanzierung zu reduzieren.

Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Werner