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Lothar Binding
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Frage von Juergen E. •

Frage an Lothar Binding von Juergen E. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Binding.

Beharrlich verwehrt der Bundestag den Bürgern (hier im Beispiel Abgeordnetenwatch.de) Details zu den Lobbyisten, die im Bundestag die von uns gewählten Vertreter ´beeinflussen dürfen´.

Nun schaltet der Bundestag sogar Rechtsanwälte ein - die mit meinem Steuergeld bezahlt werden - um zu verhindern das ich als Wähler erfahre, welche Lobbyisen welche MDB´s beinflussen. Das scheint mir mehr als absurd, und ich möchte nicht das mein Steuergeld dazu benutzt Informationen von mir fern zu halten.

Details finden Sie hier:

https://www.abgeordnetenwatch.de/blog/2015-05-28/bundestag-beauftragt-grosskanzlei-um-unsere-klage-abzuwehren

Wie ist Ihre Meinung und die der SPD hierzu? Eine kurze Antwort genügt

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Engert,

vielen Dank für Ihre Frage auf der Plattform Abgeordnetenwatch.de. Wenn Sie es genau nehmen wollen, meinen Sie nicht den Bundestag oder die Fraktionen, sondern die Bundestagsverwaltung. Davon gehe ich in meiner nachfolgenden Antwort aus.

Wenn unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen, muss die Reichweite von Ansprüchen von unabhängigen Gerichten geklärt werden. Das gilt für alle Rechtsbereiche. Der Umfang der Rechte aus dem Informationsfreiheitsgesetz gegenüber den Bundestagsfraktionen und gegenüber der Bundestagsverwaltung ist umstritten. Dies verwundert nicht, denn Gesetze mit solchen Regelungsinhalten lassen sich nicht frei von unbestimmten Rechtsbegriffen formulieren. So erklärt sich auch, warum Einzelfragen im Kontext des Informationsfreiheitsgesetzes schon mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren. Oft wichen die Entscheidungen in den verschiedenen Instanzen voneinander ab. Das zeigt, dass die diese Rechtsprobleme nicht trivial sind. Nun hat Abgeordnetenwatch.de eine weitere Fallgestaltung vor das Verwaltungsgericht gebracht, die ebenfalls geklärt werden muss. Dass sich die Bundestagsverwaltung als formal Beklagte genauso wie die Klägerin Abgeordnetenwatch.de vor Gericht anwaltlich vertreten lässt, halte ich für einen normalen Vorgang. Und wenn solche Fragen, wie etwa der Besitz eines Hausausweises, in den Lebensmittelpunkt geraten, ist es gut und natürlich legitim solche Fragen gerichtlich zu klären.

Ich bin mit LobbyControl für Transparenz und Demokratie. Also für Transparenz. Deshalb wäre es für mich in Ordnung, die „Träger des Hausausweises“ zu veröffentlichen. Aber so einfach ist es nicht und in der Demokratie geht es nicht nur nach meiner Meinung. Allein, dass Sie mir schreiben, erstmals in meinem Leben – nicht zur Finanzkrise, nicht zu Bundeswehreinsätzen, nicht zur Sterbehilfe – Sie schreiben mir zu Hausausweisen, zeigt, dass Ihre Frage eine differenzierte Antwort erfordert. Eben weil die Bedeutung des Hausausweises überhöht wird, werden Besucher mit Hausausweis als besonders gute Möglichkeit identifiziert, Interessen von Dritten zu transportieren – und im Zweifelsfall auch bedrängt. In einigen Fällen weiß ich davon dass jemand gebeten wurde eine Information weiter zu geben, ein Buch… der Lobbyismus erringt eine neue Ebene auf der Transparenz wieder verloren geht. Manchmal ist das aber auch selbst gewähltes Schicksal, weil in der Überhöhung seiner Bedeutung voller Stolz der Hausausweis zur Schau gestellt wird und Gefühle im Spannungsfeld von Bewunderung und Neid erzeugt werden.

Leider lenkt die Debatte über Namenlisten aber von dem eigentlichen Problem ab. Ich habe mich – am Beispiel des Nichtraucherschutzes – in den vergangenen Jahren schon häufig sehr kritisch mit dem Einfluss von Unternehmen und Verbänden auf die Entstehung von Gesetzen auseinandergesetzt. Ein Hausausweis allein nützt dem Lobbyisten nichts. Er kann dann zwar die Gebäude des Bundestages betreten, einen Kaffee in der Cafeteria trinken oder sich einige Kunstwerke in den Innenhöfen anschauen - Zugang zu den Abgeordnetenbüros hat er damit noch nicht.

Warum ich das für unwichtig halte? Jeder und jede Abgeordnete kann jederzeit Interessenvertreter, mit oder ohne Hausausweis in sein Büro oder einen Sitzungsraum einladen. Er muss sie lediglich beim Polizei- und Sicherungsdienst des Bundestages anmelden und schon haben sie im Regelfall Zutritt zu den Parlamentsgebäuden…

Wirft man einen Blick ins Grundgesetz, so steht in Artikel 20 „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Geht es nach bestimmten Lobbyisten, soll dies leider nicht immer für die parlamentarische Wirklichkeit gelten, wie ich bereits mehrfach erfahren musste. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Da beratschlagte eine Arbeitsgruppe der Großen Koalition 2008, in der ich mitgearbeitet habe, über einen Gesetzentwurf zum Nichtraucherschutz. Wundersame anonyme Kräfte hatten auf den ansonsten leeren Tisch des Besprechungsraumes eine Vorlage mit Regelungspunkten gelegt – eine mir zufällig bekannte Unterlage vom Verband der Zigarettenindustrie samt Tippfehlern, deren Briefkopf aber mittels cut & copy entfernt worden war. Ich möchte das einen Skandal nennen – für Lobbyisten ein ganz normaler Vorgang. Lobbyisten haben sich daran gewöhnt immer wieder Politiker zu finden, die Texte 1:1 übernehmen, aber die Quelle im Unklaren zu lassen.
Da wird seit Jahren ein Tabakaußenwerbeverbot nicht umgesetzt, obwohl sich Deutschland in einem Vertrag dazu verpflichtet hat, weil die Zigarettenindustrie ihren Einfluss geltend macht. Und auch die Fälle in denen Abgeordnete von Firmen Nebeneinkünfte ohne erkennbare Gegenleistungen bezogen, werfen die Frage nach dem Einfluss von Interessenvertretern auf die Politik auf. In Berlin gibt es mehr als 5.000 Verbindungsbüros, in Brüssel mehr als 20.000. Einige verfügen über ein Millionenbudget…

Es ist naiv zu glauben die Einflussnahme von Lobbyisten ließe sich daran messen, ob einer einen Hausausweis hat oder nicht.

Lobbyisten arbeiten oft auf vielen Wegen und Umwegen an der Pflege persönlicher Kontakte zu den Abgeordneten. Und noch wichtiger ist die Einflussnahme über die Medien und das Internet, bei der wohl gesonnene Journalisten mit Exklusivmeldungen gefüttert werden, PR-Texte als redaktionelle Beiträge getarnt werden, Meinungsumfragen mit absehbarem Ergebnis in Auftrag gegeben werden. Ganz besonders ärgerlich ist die Simulation von Graswurzel-Initiativen im Internet. Da stellen Interessenverbände vorgefertigte Text ins Netz, die die Bürgerinnen und Bürger nur kopieren müssen und an ihren Abgeordneten schicken sollen. Oft bleiben die Hintermänner solcher Webinitiativen im Dunkeln. So erhalte ich oft dutzende Emails mit wortgleichem Inhalt, die ich dann „individuell“ beantworten soll. Auf diese Weise wird meine Maxime „kein erster Brief oder Email ohne Antwort“ in Frage gestellt und mein Büro stundenweise lahmgelegt. Wir werden bombardiert mit Stellungnahmen, Gutachten, Einladungen zu Events, Fachgesprächen, Podiumsdiskussionen, Parlamentarierabend…

Die Frage ist, was wir dagegen tun können?

Johannes Spatz, einer der Hauptakteure für den Nichtraucherschutz in Deutschland, hat ein „Lobbybuch“ zur stärkeren öffentlichen Kontrolle der Lobbygruppen und ihrer Beziehungen zur Politik vorgeschlagen. Darin sollen alle Kontakte zwischen Abgeordneten und Interessenvertretern mit Ort, Datum und Gesprächsthema protokolliert werden – ein interessanter Vorschlag, der dabei helfen könnte, die Transparenz und Selbstkontrolle zu verbessern. Ich sehe allerdings auch die Schwächen einer solchen Dokumentation unserer Beziehungen zu Lobbygruppen. Denn nicht jede Einladung, der ich folge, nicht jedes Gespräch, das ich führe, nicht jede Stellungnahme, die ich lese, ist eine illegitime Manipulation meiner Entscheidung. Allerdings befürchte ich, dass im Nachhinein jede meiner Entscheidungen, jede öffentliche Äußerung daraufhin untersucht wird, ob sich aus einem Lobbykontakt eine Beeinflussung folgern oder konstruieren lässt. Ich will mir in meiner politischen Arbeit natürlich ein Meinungsbild der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen verschaffen. Diese Freiheit und Unabhängigkeit ist ein wesentlicher Teil meines Mandats und meines grundgesetzlichen Handlungsauftrags. Und wer sollte eine solche Kontrolle auf welcher Legitimationsgrundlage ausüben? Außerdem erhalte ich von Lobbyisten bzw. Interessenvertretern auch wichtige Informationen und spezielle Hinsichten. Wieviel davon dem Allgemeininteresse dient muss ich natürlich selbst beurteilen. Und auch meine Wählerinnen und Wähler sind eine wichtige Beurteilungsinstanz.

Meine Vorsicht gegenüber einem „Lobbybuch“ ändert nichts an der zentralen Bedeutung, die ich Kontrolle und Transparenz beimesse – sei es im Parlament, sei es in der Regierung und der Verwaltung. Gelegentlich werden Lobbyisten oder externe Mitarbeiter von Unternehmen und Verbänden sogar in der Ministerialverwaltung beschäftigt. Das ist grundsätzlich sinnvoll, wenn die Beschäftigung nur vorübergehend und in Referaten erfolgt, die mit spezialisierten Sachfragen betraut sind. Hier können externe Mitarbeiter zu Erkenntnisgewinnen für das Ministerium führen. Oberstes Gebot muss auch hier allerdings Transparenz in jeglicher Hinsicht sein. Gleiches gilt auch für meinen Vorschlag der transparenten Stellenvergabe über eine öffentliche Ausschreibung oder zeitlich begrenzte Werkverträge.

Sie sprechen auch Ihre Steuerzahlung an. Hoffentlich bezahlen Sie einen hohen Betrag, denn dann kann ich Sie zu einem hohen Einkommen beglückwünschen. Leider bezahlen etwa die Hälfte aller Einkommenbezieher keine Steuern… weil ihr Einkommen zu gering ist. Der Bundestag kostet jeden Bürger, jede Bürgerin im Jahr weniger als 1,50 Euro. Nehmen wir die Abschreibung der Gebäude, Verwaltung etc. hinzu, kostet der Bundestag jeden Bürger, jede Bürgerin etwa 8 Euro pro Jahr.

Um auf Ihre Mail zurück zu kommen. Mit dem Wissen, wer einen Hausausweis hat, würde Sie nicht erfahren „welche Lobbyisten welche MDB´s beeinflussen“. Das erfahren Sie nur über den oder die Abgeordnete, der oder die Ihnen sagt, wen er oder sie empfängt, welche Veranstaltungen besucht werden und ob Vorschläge der Lobby 1:1 übernommen werden oder selbst erarbeitet sind.

Ich hoffe sehr, dass ich mit meinen Ausführungen deutlich machen konnte, dass ich dem in Grenzen sogar notwendigen Lobbyismus grundsätzlich kritisch gegenüber stehe, aber nicht glaube, dass sich durch Konzentration auf den Hausausweis an diesem Problem Wesentliches ändern lässt.

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding