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Rüdiger Erben
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Frage von Guntram H. •

Frage an Rüdiger Erben von Guntram H. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Welchen Stellenwert messen Sie im Rahmen der Bildungspolitik integrativer Schulbildung behinderter und nichtbehinderter Kinder bei? Aus meiner Sicht sollte dies wenn irgendmöglich stets Vorrang vor der Sonderschule haben, damit sowohl behinderte wie auch nichtbehinderte Kinder voneinander erfahren, miteinander groß werden, die Chance haben, sich zu erleben und sich gegenseitig als Bereicherung zu erfahren. Vor 2 Jahren stellte die Kultusministerkonferenz fest, dass in Deutschland nur rund 13% behinderter Kinder integrativ beschult werden, während anderen europäischen Ländern das Verhältnis genau umgekehrt ist und rund 13 % beh. Kinder nicht integrativ und in Sonderschulen unterrichtet werden. Auch Sachsen-Anhalt hat hier ein sehr schlechtes Verhältnis und die Bedingungen der Sonderförderung bei integrativen Schulangeboten verschlechterten sich. Besonders gravierend ist dies nicht nur bei körper-, sondern vor allem auch bei lernbehinderten. Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, dem möglicherweise entgegen zu steuern? Sehen Sie hier die Notwendigkeit einer deutlichen Korrektur in der Bildungspolitik?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Hoffmann,
ich stimme Ihnen zu, dass dem Bereich der integrativen Beschulung wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Es muss nachdenklich stimmen, dass bei über 7 Prozent der Schülerinnen und Schüler eines Altersjahrganges ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wird. Diese Zahl liegt weit über dem Bundesdurchschnitt. Sie liegt auch wesentlich höher als in den anderen neuen Bundesländern und stellt international einen Spitzenwert dar. Noch nachdenklicher stimmt jedoch die Tatsache, dass ein Großteil dieser Kinder und Jugendlichen an Förderschulen beschult wird. Ein in viele Spezialrichtungen gegliedertes Förderschulwesen ist eine deutsche Spezialität, international liegt der Anteil von Kindern, die eine Förderschule besuchen bei 1-2% des Altersjahrganges. Trotz hohen Engagements der Lehrkräfte und Pädagogischen Mitarbeiterinnen an den Förderschulen sind die messbaren Ergebnisse ernüchternd. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler erreicht nicht den Hauptschulabschluss und hat damit kaum Chancen auf dem regulären Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt.
Anderswo in Europa und auf der Welt lernen Kinder mit gleichen Schwierigkeiten wesentlich besser und mehr und das trotzdem oder gerade weil sie dieselbe Schule besuchen wie alle anderen Kinder ihres Wohnbezirks. Förderschulen sind die absolute Ausnahme.
Warum gelingt dort, was in Deutschland und speziell in Sachsen- Anhalt unmöglich erscheint? Wahrscheinlich weil es in Deutschland und in Sachsen-Anhalt wesentlich mehr Abschiebe- als Fördermöglichkeiten gibt. Heterogenität ( Unterschiedlichkeit) wird als Bedrohung und nicht als Bereicherung empfunden. Rahmenrichtlinien, Leistungsbewertungserlasse, Stundenzuweisungen etc. gehen von
einer fiktiven relativen Homogenität in den einzelnen Schulformen aus. Unter diesen Rahmenbedingungen wird von vielen Lehrerinnen und Lehrern bereits die vorhandene Heterogenität ihrer Schüler als zu weitgehend empfunden.
Gemeinsamer Unterricht aller Schülerinnen und Schüler muss von den Beteiligten gewollt werden. Das Kinder unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule kommen und unterschiedlich schnell und intensiv lernen können ist keine Gefahr für die Entwicklung des Einzelnen. Im Gegenteil. Richtig gemacht, können alle davon profitieren.
Schule hat nicht die Aufgabe die bestehenden Unterschiede zwischen den Kindern aufzuheben, sondern jeden entsprechend seiner Talente, Voraussetzungen und Möglichkeiten optimal zu fördern.
Aus diesen Gründen hat für die SPD die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher Vorrang, wenn damit eine ganzheitliche Förderung und Entwicklung zu erwarten ist und wenn der Förderbedarf es zulässt. Dabei ist der Wunsch der Erziehungsberechtigten über Art und Ort seiner Förderung besonders zu
berücksichtigen. Sollte unser Vorschlag zur Einrichtung einer Allgemein bildenden Oberschule
in Sachsen-Anhalt, in der die Schüler mindestens acht Jahre gemeinsam lernen, im von uns einzurichtenden Bildungskonvent eine gesellschaftliche Mehrheit finden, sollte man mittelfristig auch darüber nachdenken, einzelne Förderschule (Lernbehinderte, Sprachentwicklung und Körperbehinderte) als eigenständige
Schulformen nach der vollständigen Einrichtung der AOS aufzulösen. Die Förderung dieser Schüler fände unter Einsatz der Förderschullehrkräfte dieser Fachrichtungen in den AOS selbst statt. Förderschulen anderer Art könnten dann als regionales Angebot an bestimmte AOS angegliedert werden und würden einen
eigenen förderpädagogischen Bereich bilden. Diese AOS wären dann zugleich schulische Förderzentren einer Region. Für integrierte Schülerinnen und Schüler würde die Schule zusätzliche Mittel erhalten. Ein Teil der zu diesem Zeitpunkt an den entsprechenden Förderschulen tätigen Lehrkräfte arbeitet dann an den
Förder- und Beratungszentren an den AOS. Dies wäre dann die von Ihnen eingeforderte deutliche Korrektur in der Bildungspolitik. Wir haben diese Vorstellungen auch schon mit Vertretern des Sonderschulverbandes besprochen und fanden durchaus Zustimmung.
Viele Grüße
Rüdiger Erben

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