Portrait von Bettina Hagedorn
Bettina Hagedorn
SPD
100 %
78 / 78 Fragen beantwortet
Frage von Julian W. •

Subventionsstreichung für Agrardiesel: Ist die SPD für Alternativen wie die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs?

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
Wie bewertet die SPD die Entscheidung, das Haushaltsloch durch die Streichung der Agrardiesel-Subventionen zu schließen, insbesondere in Anbetracht alternativer Subventionsstreichungen wie die des Dienstwagenprivilegs oder der Pendlerpauschale, und welche langfristigen Strategien verfolgt Ihre Partei, um die Landwirtschaft umweltfreundlicher und sozialverträglich zu gestalten?
Vielen Dank für Ihre Antwort.

Portrait von Bettina Hagedorn
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr W.

vielen Dank für Ihre Frage vom 14.01.2024 zur Kürzung der Steuerbegünstigungen von Agrardiesel und Ihre Frage zu alternativen Subventionsstreichungen. Ja, für die SPD wäre die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs keinesfalls ein Tabu, allerdings wäre das in dieser Wahlperiode mit unserem Koalitionspartner FDP ganz sicher nicht durchsetzbar. Da ich seit über 21 Jahren nicht nur dem Haushaltsausschuss - sondern ebenso lange dem Rechnungsprüfungsausschuss - des Bundestages angehöre, kann ich Ihnen versichern, dass der Bundesrechnungshof uns Abgeordnete seit vielen Jahren in diversen Berichten zum „Abbau klimaschädlicher Subventionen“ auffordert, was aber bisher stets an den fehlenden politischen Mehrheiten gescheitert ist.

Wie Sie ja sicherlich mitverfolgt haben, musste die Bundesregierung nach dem Verfassungsgerichtsurteil vom 15. November 2023 nicht nur unter großem Zeitdruck noch einen 2. Nachtragshaushalt 2023 verabschieden, mit dem wir u.a. unzählige bereits geflossene Zahlungen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft durch die Energiepreisbremsen finanziell absichern mussten, sondern es musste auch der Bundeshaushalt 2024 nur einen Tag vor seiner eigentlich vorgesehenen Schlussberatung im Haushaltsausschuss grundlegend an das Urteil angepasst und um 17 Mrd. Euro gekürzt werden. Das war ein sehr schmerzhafter Prozess für alle drei Koalitionspartner, bei dem jede der drei Fraktionen Kompromisse machen musste – wie es in der Demokratie selbstverständlich ist.

Als am 13. Dezember Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck nach dreiwöchigen kontroversen und harten Verhandlungen ihren gemeinsamen Vorschlag mit dem erforderlichen „Einsparvolumen“ von 17 Mrd. Euro für 2024 öffentlich vorstellten, haben auch wir Abgeordneten diesen Kompromiss aus der Presse erfahren, denn sogar als Haushaltsausschuss waren wir an diesen regierungsinternen Verhandlungen nicht beteiligt. Als Abgeordnete, die seit 50 Jahren im ländlichen Raum lebt, war ich über die geplante abrupte Streichung bei KfZ-Steuerbefreiung plus Streichung der Agrardieselsubvention zu Lasten der Landwirtschaft (Einsparvolumen 920 Mio. Euro pro Jahr) absolut entsetzt und darum froh, dass unser Kanzler, sein Vizekanzler und sein Finanzminister ihren Fehler sehr schnell eingesehen und überwiegend rückgängig gemacht haben: die KfZ-Steuerbefreiung bleibt voll erhalten (478 Mio. Euro pro Jahr) und die Agrardiesel-Subventionierung wird Jahr für Jahr in drei Schritten langsam abgebaut – das halte ich angesichts der notwendigen Einsparungen auch in vielen anderen Bereichen für angemessen, da die jahrzehntelange Steuervergünstigung des Agrardiesels in Wahrheit (ebenso wie die EU-Subventionen, die überwiegend nach Fläche und nicht nach Qualität der Bodenbearbeitung ausgezahlt werden), insbesondere den großen, profitablen Betrieben zugutekommt und nicht den kleinen Landwirten und Familienbetrieben wie denen in meinem Wahlkreis.

Als die Arbeit für uns Abgeordnete im Haushaltsausschuss im Januar beginnen konnte, nachdem wir die Beratungsvorlagen dazu aus dem Finanzministerium erhalten hatten, war diese Vorentscheidung, dass die KfZ-Steuerbefreiung von die Agrar- und Forstwirtschaft voll erhalten bleibt, also schon gefallen. Im Bundeshaushalt 2024 steht diese schrittweise Kürzung beim Agrardiesel gar nicht als Steuermehreinnahme im Haushalt, weil die Landwirte 2024 erst die Förderung für 2023 beantragen und – nach wie vor – voll erstattet bekommen!

Erst ab 2025 erhält der Staat aufgrund der beschlossenen Kürzung der Agrardieselsubvention von zuerst 40 Prozent im Einzelplan 60 (Finanzministerium) Steuermehreinnahmen von dann 142 Mio. Euro, 2026 (minus von weiteren 30 Prozent) Steuermehreinnahmen von 285 Mio. Euro, 2027 (minus der letzten 30 Prozent) Steuermehreinnahmen von 419 Mio. Euro und 2028 in dann erstmals voller Jahreswirkung von 453 Mio. Euro. Ich denke, dass diese Zahlen mehr als deutlich belegen, dass die beschlossene Kürzung weit, weit unter dem ursprünglichen Regierungsbeschluss liegt und das Entgegenkommen der Regierung ganz erheblich und akzeptabel ist.

Ich wohne seit fünf Jahrzehnten im ländlichen Raum und bin genauso lange kontinuierlich mit dem Kreisbauernverband im Dialog gewesen und JA: ich habe großes Verständnis für die Proteste der Landwirte und habe mich hierzu am 9. Januar mit dem Kreisbauernverband Ostholstein in Lensahn getroffen.  Aber der Protest der Landwirte dreht sich nicht nur um die Subventionen und den jetzt beschlossenen Abbau, sondern darum, dass nach Jahrzehnten „der berühmte Tropfen das Fass zum Überlaufen“ gebracht hat. Und das kann ich nachvollziehen. Am 16. Januar hatte ich ein eindrucksvolles Gespräch mit einem Junglandwirt aus meinem Wahlkreis. Er hat wiederholt, was neben den Subventionen auch auf den Straßen zur Sprache kam: Die Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, vor allem für kleine Betriebe, müssen besser werden. Wir haben daher am 18.01.2024 einen Antrag im Deutschen Bundestag beschlossen, in dem wir die Bundesregierung auffordern, einen „Modernisierungsprozess Richtung einer ökologisch und ökonomisch nachhaltigen, langfristig zukunftsfesten Landwirtschaft“ zu unterstützen. Der Antrag greift viele Vorschläge der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft zu Tierhaltung, Landwirtschaft und unserem Umgang mit Ernährung und Lebensmitteln auf. Der Bundestag möchte (die Zusagen der drei Fraktionsvorsitzenden der SPD, der Grünen und der FDP wurden dazu gegeben!) ab sofort im Dialog mit den Vertretern der Landwirtschaft konkrete Vorhaben diskutieren (z.B. auf der Grundlage der Ergebnisse der Borchert-Kommission) und sich auf entsprechende Maßnahmen verständigen, die wir noch in diesem Sommer beschließen könnten, damit sie für den Haushalt 2025 Berücksichtigung finden können. Diese Chance sollten wir gemeinsam nutzen.

Gerade die jungen Landwirte, die jetzt mit ihren Familien die Höfe übernehmen, dürfen nicht entmutigt werden, dass sie auch künftig angemessen von ihrer schweren Arbeit werden leben können. Wir brauchen unsere landwirtschaftlichen Betriebe im ländlichen Raum, und deren Existenz ist durch den Klimawandel, den Flächenverbrauch durch Großprojekte für die Verkehrs- und Energieinfrastruktur und durch weitere schwierige Rahmenbedingungen am Markt für die Betriebe ohnehin extrem belastet.

Ihr Vorschlag - eine Kürzung der Pendlerpauschale - wäre aus meiner Sicht ein „Bärendienst“ für die Menschen im ländlichen Raum, denn viele Beschäftigte haben gerade bei uns einen längeren Arbeitsweg, der mit dem öffentlichen Personennahverkehr nicht – wie in der Stadt – bewältigt werden kann. Und wir können nicht wollen, dass immer mehr Menschen in die Städte ziehen, weil wir im ländlichen Raum auch junge Bevölkerung brauchen, die hier in Kitas und Schulen geht und unsere Gesellschaft und das Ehrenamt mit Leben erfüllt.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort aufzeigen, dass wir – den Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils und dem Erfordernis einer verfassungskonformen Haushaltsaufstellung entsprechend - dennoch einen Kompromiss gefunden haben, der uns zwar nicht leichtgefallen ist, aber der dennoch die ursprünglich angekündigte Kürzung zu Lasten der Land- und Forstwirte von 920 Mio. Euro pro Jahr um weit über die Hälfte reduziert – und das auch erst ab 2027. Alleine der Erhalt der Kfz-Steuerbefreiung reduziert die ursprünglichen Kürzungen um rund 480 Mio. Euro pro Jahr. Ich hoffe, dass Politik und Landwirtschaft gemeinsam jetzt 2024 die Chance des Dialogs suchen, um weitere Maßnahmen für eine zukunftsfeste Landwirtschaft zu besprechen und zu vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Bettina Hagedorn

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Bettina Hagedorn
Bettina Hagedorn
SPD