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Bettina Hagedorn
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Frage von Thomas M. •

Frage an Bettina Hagedorn von Thomas M. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Hagedorn,
in 18 europäischen Ländern gibt es bei der Organspende das Gesetz der Widerspruchslösung : Jeder ist Spender & wer nicht spenden will, kann widersprechen. In Deutschland gilt die Entscheidung & hier sterben bei der momentanen Gesetzeslage jedes Jahr über 1000 Menschen die auf der Warteliste stehen. Man wartetet in Deutschland z.B. auf eine Niere 7- 10 Jahre & in Spanien oder Österreich dagegen nur 1 Jahr, weil es dort die Widerspruchslösung gibt !
Ich fühle mich als Betroffener in Deutschland benachteiligt - gegenüber den Ländern mit Widerspruchslösung !
Was sagen sie zur Widerspruchslösung ?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de vom 23. August 2018. In dieser fragen Sie konkret nach meiner Meinung zur sogenannten Widerspruchslösung bei Organspenden - ein Thema, welches die Gesellschaft „bewegt“ und nicht nur kontrovers, sondern auch emotional debattiert wird. Meine Antwort auf Ihre Frage ist ein klares „Ja“! Ich bin dafür, das aktuelle Verfahren – die sogenannte Entscheidungslösung – durch ein Wider-spruchverfahren zu ersetzen.

Seit 17 Jahren bin ich Mitglied im Deutschen Bundestag. Obwohl ich seit über 16 Jahren als Mitglied im Haushaltsausschuss tätig war, waren mir die Themen Gesundheit und Pflege - geprägt von persönlicher Erfahrung mit Pflege und Tod - stets ein wichtiges Anliegen. Seit 2004 absolviere ich jedes Jahr Praktika in Pflegeeinrichtungen oder auf Intensivstationen und habe viele betroffene Patienten kennengelernt. Ich kann Ihnen deshalb nur zustimmen, wenn Sie die langen Wartezeiten für den Erhalt einer Organspende in Deutschland kritisieren. Nur 797 Menschen haben im vergangenen Jahr ihre Organe gespendet, zeitgleich warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) mehr als 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Ich muss nicht erwähnen, dass ich persönlich seit 20 Jahren einen Organ-spende-Ausweis bei mir trage – es besteht allerdings aus meiner Sicht auch politischer Handlungsbedarf.

In der SPD diskutieren wir intensiv und seit langem über dieses wichtige Thema. Der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende und jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im Jahr 2010 mit einer Nierenspende seiner schwer erkrankten Frau geholfen und damit auch zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses Thema beigetragen. Seit dem ist einiges passiert: Um die Organspende-Praxis transparenter zu machen, haben wir uns in der Koalition auf Druck der SPD bereits 2016 auf ein Transplantationsregister verständigt. Ein Jahr später hat sich der SPD-Bundesparteitag mit dem Thema Organspende beschäftigt und sich deutlich für eine Intensivierung der Werbung für Organspenden, inklusive der Aufklärung an Schulen, ausgesprochen. Weiterhin hat sich allen voran unser SPD-Gesundheitsexperte und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach jüngst erneut für eine Widerspruchslösung stark gemacht: „Wir können verlangen, dass sich jeder aktiv erklärt, der seine Organe im Todesfall nicht für das Leben anderer Menschen hergeben möchte“, erklärte Lauterbach in einem Interview. Dem schließe ich mich ausdrücklich an.

Im Koalitionsvertrag haben wir das Problem fehlender Organspender ebenfalls aufgegriffen. So findet sich dort ein klares Bekenntnis zum Ziel einer Erhöhung der Organspenden. Um dies zu erreichen „werden wir eine verbindliche Freistellungsregelung für Transplantationsbeauftragte schaffen und diese finanzieren. Die Organentnahme wird höher vergütet“ (S.100 im Koalitionsvertrag). Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und wird die Rahmenbedingungen für Organspenden erheblich verbessern. CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn hat dazu am 31. August 2018 seinen ersten Gesetzentwurf veröffentlicht. Mehr war leider mit der Uni-on im Koalitionsvertrag nicht hinzubekommen. Insofern ist es leider folgerichtig, dass Gesundheitsminister Jens Spahn heute in den Medien zwar einerseits erklärt hat, dass er auch persönlich für die Widerspruchslösung sei, aber dazu keine Gesetzesinitiative vorlegen werde. Somit bliebe allein die Chance auf eine fraktionsübergreifende Gesetzesinitiative aus der Mitte des Parlamentes, die allerdings von den Fraktionsspitzen befürwortet werden muss – ob das innerhalb der Union gelingt, kann ich nicht beurteilen.

Mit solchen fraktionsübergreifenden Gesetzesinitiativen hat der Deutsche Bundestag immer dann, wenn es um ethische Fragen und solche „von Leben und Tod“ geht, sehr gute Erfahrungen gemacht. Beispiele sind u.a. die gesetzliche Grundlage für Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht 2009, für die Normierung straffreier „Sterbehilfe“ 2015 oder die „Ehe für alle“ 2017. Bei solchen Gesetzen wird die Abstimmung in den Fraktionen „frei gegeben“, weil es reine Gewissensentscheidungen sind.
Eine solche breite Debatte zur Widerspruchslösung innerhalb des Parlamentes würde mit Sicherheit auch eine große mediale Aufmerksamkeit finden, die eine gesamtgesellschaftliche Diskussion auch unter Einbeziehung von Patienten, Ärzten und z.B. den Kirchen neu entfachen würde. Das allein wäre aus meiner Sicht schon ein Vorteil. Ich werde mich auch künftig für die Widerspruchslösung im Bundestag stark machen.

Mit freundlichen Grüßen,
Bettina Hagedorn

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