Lobbyregister

Diese Liste zeigt, für wen über 100 Ex-Politiker:innen heute arbeiten

Ehemalige Vizekanzler, Ex-Minister:innen und ein Geheimdienstchef a.D.: Im Lobbyregister des Bundestags stehen nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de mehr als 100 frühere Amts- und Mandatsträger:innen. Für wen lobbyieren sie?

von Martin Reyher, 21.07.2023
Dirk Niebel, Joschka Fischer, Brigitte Zypries, Günther Oettinger

Der frühere FDP-Politiker Dirk Niebel ist nach wie vor ein umtriebiger Mann. Beim Rüstungskonzern Rheinmetall ist er als Lobbyist für “Regierungsbeziehungen” zuständig. Außerdem betreibt der Ex-Minister ein Beratungsunternehmen namens “Niebel International Consulting”, mit dem er sich auf Afrika und den Nahen Osten spezialisiert hat. 

Doch manchmal hat Unternehmensberater Niebel auch im Berliner Regierungsviertel zu tun. “In Einzelfällen” könne es vorkommen, dass er beim Bundestag oder der Bundesregierung lobbyiere, gibt Niebel im Lobbyregister an. Das geschehe aber nicht im Auftrag von Kunden, sondern diene “der eigenen Horizonterweiterung und der allgemeinen Informationsgewinnung”.

Ein Anruf im Bundestag oder im Ministerium kann Türen öffnen

Dirk Niebel, Bundesentwicklungshilfeminister a.D.
Rüstungslobbyist und Unternehmensberater: Bundesentwicklungsminister a.D. Dirk Niebel (FDP)

Niebel ist nicht der einzige Ex-Politiker, der im Lobbyregister zu finden ist. Mehr als 100 ehemalige Abgeordnete und Regierungsmitglieder sind nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de im Register aufgeführt. Hinzu kommen hochrangige Spitzenbeamte wie der Präsident des Bundeskartellamtes a.D. oder ehemalige Geheimdienstchefs. Sie sind mittlerweile als Vorstände in Unternehmen, Verbänden oder Vereinen tätig, arbeiten als hauptberufliche Lobbyist:innen oder betreiben eine Beratungsfirma. Die Liste, die Sie weiter unten im Artikel finden, zeigt diese Seitenwechsel – vollständig ist sie aber nicht.

Dass Konzerne und Interessenorganisationen ehemalige Abgeordnete, Regierungsmitglieder oder Spitzenbeamte verpflichten, ist naheliegend. Aus ihrer aktiven Zeit verfügen sie über ein breites Netzwerk. Ein Anruf im Bundestag oder im Ministerium kann Türen öffnen.

Der Eintrag im Register ist ein Freifahrtschein fürs Lobbyieren 

Doch dafür müssen die ehemaligen Politprofis im Lobbyregister stehen. Ein Registereintrag ist so etwas wie ein Freifahrtschein, um beim Bundestag oder der Bundesregierung zu lobbyieren. Oder, wie es im Gesetz heißt, um “unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss [...] auf den Willensbildungs- oder Entscheidungsprozess” nehmen zu dürfen. Mehr als 32.000 Personen sind dazu dank eines Eintrags im Register berechtigt.

Etliche Interessenvertreter:innen haben früher selbst dort gearbeitet, wo sie heute Einfluss nehmen wollen. Wer sind die ehemaligen Amts- und Mandatsträger:innen, die im Register stehen – und in wessen Auftrag arbeiten sie? Einige Beispiele:

  • Hessens früherer Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat sich als Anwalt registriert. Auftraggeber: der Telekommunikationskonzern Vodafone und der Lobbyverein “Wirtschaftsrat”.
  • Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) steht als Berater der Privatbank ING im Lobbyregister.
  • Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik eine Beratungsagentur gegründet. Kunden sind laut Registereintrag der Autobauer Audi, das Bergbauunternehmen Rio Tinto und der Energiekonzern Eon.
  • Der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler steht in Diensten der Beratungs- und Lobbyagentur friedrich30 (gegründet vom ehemaligen SPD-Abgeordneten Fritz Rudolf Körper). Das Unternehmen arbeitet für die Tourismusbehörde des Staates Katar und die BMW AG.
  • Die früheren Abgeordneten Katja Suding (FDP/Bundestag) und Elmar Brok (CDU/Europaparlament) sind für die international tätige PR- und Lobbyagentur Rud Pedersen Public Affairs tätig. Die Agentur arbeitet für den Rüstungskonzern Rheinmetall, das Energieunternehmen Vitol und Mc Donalds. Welche konkreten Kunden die beiden Ex-Abgeordneten beraten, muss im Lobbyregister derzeit nicht offengelegt werden.
  • Der frühere EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) betreibt mittlerweile in Hamburg eine Beratungsfirma. Auftraggeber sind die Schwarz Unternehmenskommunikation GmbH & Co. KG (LIDL) und die Deutsche Börse AG.
  • Wirtschaftsministerin a.D. Brigitte Zypries (SPD) berät den Techkonzern Apple.
  • Etwa zwei Dutzend frühere Amts- und Mandatsträger:innen sind im Auftrag der Lobbyagentur EUTOP aktiv. Dazu gehören der ehemalige Wirtschaftsstaatssekretär Uwe Beckmeyer (SPD), die Grünen Volker Beck und Christine Scheel, der frühere Vizepräsident des EU-Parlaments Alexander Pickart Alvaro (FDP) und der frühere SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs. EUTOP arbeitet im Auftrag des Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann, der Bayer AG und des Telekommunikationskonzerns Huawei.
     
Sigmar Gabriel
Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz zum Thema "deutsche Stahlindustrie": Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel, heute Aufsichtsratschef des Stahlkonzerns Thyssenkrupp Steel

Ob und wie intensiv sie Lobbyarbeit betreiben, lässt sich im Register nicht sehen: Lobbygespräche mit der Regierung oder Abgeordneten müssen Interessenvertreter:innen hierzulande nicht offenlegen.

Das ist nicht der einzige blinde Fleck im deutschen Register. Recherchen von abgeordnetenwatch.de zeigen, dass ehemalige Spitzenpolitiker:innen selbst dann bei der Bundesregierung lobbyieren können, wenn sie nicht im Register stehen. Ein solcher Fall ist Sigmar Gabriel.

Ex-Vizekanzler öffnet Stahlkonzern die Tür zum Kanzleramt

Im April 2022 wurde der frühere Vizekanzler und Ex-Minister zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Stahlkonzerns Thyssenkrupp Steel gewählt. Seitdem stand Gabriel mindestens acht Mal mit dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Jörg Kukies, in Kontakt. Mindestens zwei Mal traf er sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Bei vielen dieser Gespräche sei es um das Thema “deutsche Stahlindustrie” gegangen, räumte das Kanzleramt auf Anfrage ein.

Regierungskontakte von Sigmar Gabriel

Gespräche und Treffen mit Staatssekretär Jörg Kukies und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit der Wahl zum Aufsichtsratsvorsitzenden von Thyssenkrupp Steel am 7. April 2022:

  • 7. April 2022: Telefonat mit Jörg Kukies zum Thema "deutsche Stahlindustrie"
  • 2. Mai 2022: Gespräch mit Jörg Kukies im Bundeskanzleramt zum Thema "deutsche Stahlindustrie"
  • 17. Mai 2022: Telefonat mit Jörg Kukies zu "Auswirkungen der Änderungen im EU-Emissionshandelssystem"
  • 19. Mai 2022: Telefonat mit Jörg Kukies zur "Förderung ausländischer Investitionen in Deutschland"
  • 5. Juli 2022: Treffen mit Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt zum Thema "deutsche Stahlindustrie"
  • 19. Juli 2022: Telefonat mit Jörg Kukies zum Thema "deutsche Stahlindustrie"
  • seit August 2022: zwei Telefonate und ein Gespräch mit Jörg Kukies zur "Zukunft der deutschen Stahlindustrie"
  • 5. Dezember: Treffen mit Olaf Scholz im Bundeskanzleramt ("allgemeiner Austausch")

Quelle: Angaben der Bundesregierung auf Anfragen von Die Zeit/abgeordnetenwatch.de (Stand: Juli 2023)

Wahrscheinlicher ist, dass es um Milliarden-Subventionen für Thyssenkrupp Steel ging. Mit dem Geld vom Bund und dem Land NRW will der Konzern seine Produktion klimafreundlicher machen. Inzwischen hat die EU-Kommission die Beihilfen für Thyssenkrupp Steel bewilligt.

[LISTE "Ehemalige Amts- und Mandatsträger:innen im Lobbyregister". Um die Tabelle sehen zu können, müssen Sie sie möglicherweise erst über den Schiebschalter aktivieren.]

Dass Gabriel im Kanzleramt lobbyieren konnte, ohne im Registereintrag von Thyssenkrupp Steel aufgeführt zu sein, liegt an einer Regelungslücke: Für Aufsichtsratsmitglieder wie Gabriel gibt es keine Eintragungspflicht. (Gabriels Name taucht im Lobbyregister lediglich im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit beim Verein Atlantik-Brücke auf, bei dem er Vorsitzender ist). 

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Das soll sich bald ändern. Die Ampel-Koalition will das Lobbyregistergesetz im kommenden Jahr verschärfen. Dann müssen im Register auch Aufsichtsräte aufgeführt werden, wenn sie an der Interessenvertretung mitwirken. Das dürfte eine Reaktion auf die Lobbyaktivitäten von Gabriel sein.

Auch in einem anderen Punkt soll das Lobbyregister nachgeschärft werden: Wer vorher als Mitglied des Bundestags oder der Bundesregierung tätig war, muss das künftig transparent machen.

Update 19. April 2024: 

Die Lobbyagentur EUTOP hat die Verpflichtung von Baden-Württembergs ehemaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) als Geschäftsführer verkündet.


Mitarbeit: Andrea Knabe

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